Süddeutsche Zeitung
Celan-Szenarien
Indie-Rock, also Geschrammeltes, Hingeworfenes, kann im Jahr 2011 immer etwas unangenehm sein. Etwas das ungefähr so stört, wie der Zigarettengestank auf dem Hemd von letzter Nacht. Über die Hochzeit des Indies, die 90er, hat man es nur geschafft, wenn man etwas Besonderes zu bieten hat. Etwa Dirk von Lowtzow, der ja eher auf Lyrik als auf Pop setzt; genauso wie sein kryptischer Kollege Jochen Distelmeyer. Und sogar die Ur-Indieband Die Sterne hat mittlerweile ihren jahrelangen Indie-Ansatz verworfen und sich in Richtung Travolta-Disco bewegt.
Auch die Musiker von Kreisky hörten sich im 59to1 nicht wie die 17. Indieband aus Würzburg an. Kreisky, ein vierköpfiges Kollektiv, sind – der legendäre Kanzlername verpflichtet – aus Wien und klingen bei vielen Liedern so, als ob Paul Celan seine Szenarien mittels Gitarre, Bass und Schlagzeug entwarf: ungemütlich, roh, laut, irritierend. „Das sind alles Kannibalen, das sind alles keine Menschen mehr. Hier ist alles nur Beton“, singt, spricht, referiert, schimpft Franz Adrian Wenzl, der Sänger der Band im schönsten Wiener Schmäh von der Bühne. Bei Kreisky wird Misanthropie noch ernst genommen – genauso wie die liebe Egozentrik: „Wenn es eine Sünde ist, großartige Konzerte zu geben, dann sind wir schuldig.“ Bei Worten wie diesen auch noch sympathisch zu bleiben, gelingt wohl nur Wienern. Gegen Ende heißt es: „Menschen brauchen Liebe.“ Einverstanden. Und, das zeigt das Konzert, auch eine dieser Kreisky-Platten.