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Der große Coup mit dem Coup

Letzten Sommer wurde auf der Insel Aitutaki eine Bank ausgeraubt, und die Weltpresse vermeldet: «Südseeinsel pleite». Doch ein halbes Jahr später zeigt sich, dass die Sache viel mehr Gewinner als Verlierer kennt.

John Baxter schwitzt. Er hatte am Telefon angedeutet, er habe auf dieses Gespräch keine Lust, er sei beschämt von diesem Verbrechen. Dann willigte er doch ein. «Morgen, 14 Uhr, mein Büro, City Council Aitutaki.»

Dort sitzt man nun. Der Mann schnauft schwer. Der Bürgermeister von Aitutaki, einer der 15 Cookinseln in der Südsee, ist ziemlich dick, sein gewaltiger Bauch legt sich auf die mit aufgedruckten Hibiskusblüten verzierte Decke seines Bürotisches. Baxter, 48 Jahre alt, sei ziemlich clever, heisst es auf der Insel. Seit knapp einem Jahr ist er Bürgermeister auf Aitutaki, er sei ein geschätztes Mitglied der knapp 2000 Einwohner umfassenden Gemeinde. Und Baxter ist auch eine der Hauptfiguren in einem Krimi unter Palmen, der Mitte August 2011 weltweit für Schlagzeilen sorgte.

Rund hundert Meter weiter steht die Inselfiliale der Bank of the Cook Islands (BCI). Über den Fall darf dort nicht gesprochen werden. Manche der Angestellten haben Blumenkränze im Haar, sie lächeln allesamt. Die Kunden der Bank schätzen diese Atmosphäre. Die Bank macht eher den Eindruck eines Ukulelen-Verleihs als den eines Geldinstituts. Tritt man aus der Eingangstür, die nur durch zwei Schlösschen verriegelt ist, blickt man auf einen türkisfarbenen Ozean.

Die Diebe benutzten letzten August bei Nacht die Hintertür, brachen sie auf, liefen nach links in den Tresorraum, zerschlugen das am Safe befestigte Sicherheitsschloss und ergatterten – so hiess es damals – rund 200 000 neuseeländische Dollar (etwa 116 000 Euro). Damit – das war die bevorzugte Erzählart – hätten die Bewohner Aitutakis einen Grossteil ihrer Ersparnisse verloren. Die Cookinsel stand angeblich vor dem Schicksal, das Griechenland oder Italien droht: einer Staatspleite. Die BCI ist nicht nur eine einfache Bank, sondern der grundlegende Träger des Wohlfahrtssystems der Cookinseln.

Nur Mütter, die dort ein Konto besitzen, bekommen Elterngeld vom Staat, auch die Rentenzahlungen werden über die Bank abgewickelt. Kurz: Fast jeder Bürger Aitutakis sei, so hiess es, durch den Diebstahl geschädigt gewesen, weswegen die Bank seither eine ziemliche Medien-Karriere hinlegte. Zeitungen weltweit berichteten: «Bewohner Aitutakis verlieren bei Bankraub alles» (Schlagzeile NZZ vom 19. August 2011), die österreichische «Kronenzeitung» sah sogar die kleine Cookinsel ins Verderben stürzen. Was man damals nicht wusste: Die Geschichte ist im Grunde genommen nur eine Abwandlung der Story vom Sack Reis, der in China umgefallen ist.

Immer die reine Wahrheit

John Baxter gibt zwar Antworten, umkurvt den Kern der Frage aber stets geschickt. Die Frangipani-Blüten auf seinem Hemd scheinen in diesem Moment besonders kräftig zu leuchten. Beglaubigt ist, dass am 11. August die Nachricht vom Einbruch erstmals vermeldet wurde. Transportiert wurde die Information durch die «Cook Islands News», eine Zeitung, die ihren Sitz auf der Hauptinsel der Cooks, auf Rarotonga, unterhält. Am 17. August, rund eine Woche nach der Tat, erfuhr die restliche Welt durch die Presseagentur AFP dann vom Raub; lanciert durch «CI News», deren Chef dafür bekannt ist, seine Zeitung und damit die Cookinseln mehr zu bewerben, als immer die reine Wahrheit zu vermitteln.

Bestes Beispiel aus jüngster Vergangenheit ist eine Geschichte, die besagte, ein Russe erhebe Erbanspruch auf eine Cookinsel, was sich als hanebüchen erwies. Wegen Gepflogenheiten wie diesen arbeitet die lokale Tourismusagentur nicht mehr mit den «CI News» zusammen. Ausserdem laufen mehrere Klagen gegen deren Chef – Anklagepunkt: Desinformation.

Auch in der Berichterstattung der Zeitung über den Bankdiebstahl wurde etwas zu viel gemutmasst, was dazu führte, dass anschliessend die Agenturen weltweit eine Null zu viel in ihre Nachrichtensysteme hackten, obwohl eigentlich nur – das bestätigte mittlerweile auch die BCI – 20 000 Dollar entwendet worden waren.

John Baxter sagt, er könne dazu nichts sagen. Er spricht lieber über die Insel: Wenn man hier nicht leben könne, könne man nirgendwo leben. Hier gebe es kostenlos alles für alle, Schweine, Hühner, Fische, Freiheit, das sei einer der Gründe, warum die Leute auf der Insel so einzigartig seien – was sie zugegebenermassen auch sind. Sie lächeln stets, auf der Strasse fährt man höchstens 42 Kilometer pro Stunde, fährt man 30, wird man auch nicht überholt.

Die Polizeistation ist etwa zwei Minuten Fussweg entfernt und liegt direkt neben der BCI-Filiale, weswegen den drei Polizisten der Vorfall peinlich ist. Im kleinen Gerichtssaal des Gebäudes verurteilt gerade ein Richter einen Mann, weil er letzte Nacht betrunken Roller gefahren war. Ein sehr légèr gekleideter Polizeibeamter, der seinen Namen nicht nennen will, erklärt, es gebe ständig Probleme mit der lokalen Zeitung. Die «CI News» sei ein grosser Lügner, sie würde alles zur Story aufblasen! Mehr könne er aber nicht sagen. Der Mann verweist auf die Polizeistation auf der Hauptinsel der Cookinseln, Rarotonga.

Inspektor im Hawaiihemd

Dort begrüsst einen der mittlerweile für den Fall – es gab mindestens drei Zuständigkeitswechsel – beauftragte Inspektor Tuaine Maunga. Er erinnert in der Art, wie er aus den Augen blinzelt, und in seiner Körperfülle sehr an Bud Spencer. Nachdem man ihm sein Anliegen geschildert hat, sagt der Inspektor im blauen Hawaiihemd kurzerhand und durchaus ernsthaft: «Gut, Verstärkung aus Deutschland. Vielleicht können Sie uns ja weiterhelfen. Was wissen Sie?» Er meint das durchaus ernst, dann sagt er, dass «die Ermittlungen noch laufen». Ausserdem wisse er nicht, welche Bestrafung auf die Täter warte. In der Eingangshalle der Polizeistation hält eine Beamtin ein Mittagsschläfchen.

John Baxter sitzt in seinem Büro, zuckt mit den Schultern. «Eine Bestrafung? Ich habe keine Ahnung. Ins Gefängnis vielleicht?» Aitutaki hat kein Gefängnis, aber Rarotonga, vierzig Flugminuten entfernt. Am Gefängnis winken die Männer freundlich, flankiert durch einen Zaun, durch den sich sogar John Baxter grazil durchschieben könnte. Spricht man mit Bewohnern heisst es, dieses Laisser-faire sei doch egal, die Insassen könnten sich ohnehin frei auf der Insel bewegen.

Sowohl Baxter als auch diverse Hotelmanager glauben übrigens, dass den Diebstahl ein Pärchen begangen hat, dem in den Flitterwochen das Geld ausging. Die Cooks sind eine beliebte Zuflucht Neuvermählter. Am Tag nach dem Banküberfall lag eine Jacht weniger als zuvor im Hafen.

Inspektor Maunga sagt, «die Jacht-Theorie» sei eine Möglichkeit. «Wir fokussieren darauf, dass es jemand aus Aitutaki selbst war, weil wir glauben, der Einbrecher hatte genaue Kenntnisse des Grundrisses der Bank.» Diesen simplen Grundriss lernt man aber bereits kennen, hebt man umgerechnet 50 Euro in der Filiale ab. Zudem gab es mindestens zwei Betriebsprüfungen, Audits, in den vergangenen Jahren, die besagen, die Aitutaki-Niederlassung habe ein Sicherheitsproblem.

Davon will Vaine Arioka nichts wissen. Sie begrüsst einen mit einem festen Händedruck in der Zentrale der Bank of the Cook Islands auf der Hauptinsel Rarotonga. Sie ist der Manager der Bank, ein Mienenspiel ist nicht zu erkennen, die Antworten sind knapp. Dem Fall könne man nichts hinzufügen. Aber Aitutaki sei nie vor einer Pleite gestanden. Diese Behauptung sei lächerlich. Die Bank sei schliesslich wie jede andere Bank der Welt gegen Diebstahl versichert. Ein Imageschaden sei für die BCI aber durchaus durch den Diebstahl entstanden.

Diebstahl war von Vorteil

Das sieht die Tourismusbranche des Inselverbands anders, ein Hotelmanager sagt: «Der Diebstahl war für uns von Vorteil. Die Welt blickte auf uns.» Aitutaki hätte nach dem Bankraub an einem Tag eine Million Klicks generiert. Und wirklich, als die AFP und darauf die Medien weltweit über den BCI-Fall berichteten, wurde etwa der Name «Aitutaki» über 400 Prozent häufiger als an gewöhnlichen Tagen gesucht – ein Marketing-Volltreffer. Auf den dazugehörigen Bildern waren stets Palmen und Traumstrände und die herrlich türkisfarbene Lagune zu sehen. Nicht wenige wünschten sich damals, einfach nur auf dieser Insel zu sein.

Das erinnert so an einen Marketingtrick der australischen Region Queensland aus dem Jahr 2009. Die Destination suchte damals jemanden, der kostenlos für mehrere Monate auf einer Insel an der Ostküste Australiens in einer Villa lebt. Innerhalb weniger Tage besuchten Millionen die Website der Aktion, fast alle internationalen Medien berichteten, das Ziel, die Steigerung der Bekanntheit der Ferienregion, wurde erreicht.

Ein ungenannt bleiben wollender Hotelmanager auf den Cooks sagt, den Diebstahl habe es gegeben. Aber die Grössenordnung des Diebstahls, die sei immer klar gewesen. Im Moment nach dem Diebstahl habe jemand die Gelegenheit genutzt, die Sache aufzublasen. Er spricht von einer geplanten Marketingaktion. Dann sagt er einen herrlich klingenden Satz: «An open door may tempt a saint», was – frei übersetzt – so viel bedeutet wie: Gelegenheit macht Diebe. Der Manager sagt, jemand habe die schnelle Möglichkeit dazu genutzt, die Insel der Weltöffentlichkeit vorzustellen.

Charles Pitt schmunzelt spitzbübisch, als er vom Diebstahl auf der Insel hört. Auch er glaubt, dass der Aitutaki-Fall dem Cookinsel-Verband eher etwas eingebracht als geschadet habe. Pitt ist der Chefredaktor der zweiten Inselzeitung, des «Cooks Island Herald», dem die Inselbewohner mehr Vertrauen entgegenbringen als den «CI News». Pitt ist, im Gegensatz zum Chef der «CI News», der erst vor ein paar Jahren von Neuseeland auf die Insel gezogen ist, ein echter Cook Islander.

Der «Herald», sagt er, habe eine andere Philosophie gehabt, als es um den vermeintlichen Bankraub gegangen sei: «Wir haben gar nicht darüber berichtet. Denn eines war klar: Irgendetwas daran war nicht ganz koscher». Pitt bringt es fertig, einen Stuhl noch mehr zum Ächzen zu bringen als Bürgermeister Baxter.

Der blickt in seinem Büro auf Aitutaki zu zwei papageienähnlichen Vögeln im Nebenraum. Man fragt ihn: «Könnte nicht geschicktes Marketing hinter der Sache stecken?» Baxter zögert einen – den ersten – Moment während des Gespräches und sagt schliesslich: «I don’t know.» Dann folgt ein spitzbübisches Lächeln. Marco Maurer