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Willi Rank pfeift weiter

Deutschlands ältester Schiedsrichter hört auf - und auch wieder nicht

Einfache Tische, dunkle Fliesen, Pokale, Wimpel – die Vereinsheime ähneln einander. Willi Rank, 89, schaut auf die Uhr, noch sechs Minuten bis zur ersten Halbzeit. Seit einem halben Jahrhundert wartet er Woche für Woche in den Kellern oder auf den Fluren bayerischer Klubheime, bis er wieder anpfeifen darf. Neben ihm liegt der Ball, der einmal noch unter seiner Aufsicht rollen soll – denn nach diesem Spiel wird Deutschlands ältester Schiedsrichter seinen Dienst beenden.

Damit folgt er dem Wunsch von Werner Leuermann, seinem Obmann beim Bayerischen Fußball-Verband. Leuermann, selber 66, findet, 100 Hin- und Rückserien sind genug.

Wer rund um Landshut im Verein Fußball spielt, der kennt Willi Rank, wurde von ihm verwarnt oder vom Platz gestellt. Die Rote Karte zeigte er einmal sogar dem eigenen Sohn; ein anderes Mal ermahnte er seine Frau Maria, die am Spielfeldrand zu leidenschaftlich schrie. Geht es um seine Passion, kennt er kein Pardon.

Bei seinem ersten Einsatz im Juni 1962 galt Otto Rehhagel noch als Nachwuchshoffnung in der Innenverteidigung von Rot-Weiss Essen. Rank war damals schon 40. Mit 47 ist in der Bundesliga Schluss für die Schiedsrichter. Im Amateurbereich gilt diese Regel nicht. Man kann Willi Rank also nur bitten, aufzuhören, wie es Werner Leuermann des Öfteren tat. Doch Willi Rank hat Lust noch über sein letztes Spiel hinaus. »Ich hör nicht auf«, sagt er. »Bis zu meinem eigenen Abpfiff.«

An diesem letzten Samstag im April, beim U-13-Spiel des SC Buch am Erlbach gegen den ETSV Landshut 09, sind es über 30 Grad. Die Zwölfjährigen tauchen zur Halbzeit ihre Köpfe in die Wassereimer. Werner Leuermann sagt fürsorglich: »Willi, stell dich in den Schatten.« Aber Rank, im schwarzen Langarmtrikot, trotzt der Hitze: »In Afrika damals war es heißer.«

Die Tage in Afrika sind ihm noch immer sehr gegenwärtig. Oft erzählt er von seinem ersten Tag im Afrikakorps unter Erwin Rommel, 1943, als es seine Aufgabe war, an vorderster Front Granaten zu werfen. Gleich in der ersten Nacht nahmen ihn englische Soldaten gefangen und brachten ihn ins ägypti-sche Lager 306 bei Fayed. Dort saß er mit 15000 anderen deutschen Soldaten bis zum April 1948. Die Engländer behandelten ihn gut, aber es war heiß, und viele wurden krank. Man zimmerte sich einen Tagesrhythmus, um durchzuhalten. Willi Rank spielte Fußball und Faustball, er lernte Tischtennis, Boxen und Schach. Er beendete eine Partie am Abend, ließ die Figuren stehen und fing morgens wieder an. Dieser Rhythmus hielt ihn am Leben.

Montag ist Ruhetag. Dienstag ist Stockschießen. Mittwoch Tischtennistraining. Donnerstag Schachspielen. Freitag ein Tischtennis-Verbandsspiel. Am Samstag pfeift Willi Rank, und Sonntag ist Sonntag. So sehen seine Wochen seit Jahrzehnten aus. Der Rhythmus, den er im Lager annahm, bestimmt noch heute seinen Alltag. »Seitdem bin ich drin. Alles, was ich damals machte, mache ich heute noch«, sagt er. Die fünf Jahre Kriegsgefangenschaft nennt er gleichwohl »eine verlorene Zeit«. Seit er damals aus dem Krieg nach Hause kam, widmet er sich dem Sport – bis heute.

Willi Rank pfeift eine Szene im Strafraum ab. Foul, er entscheidet auf Freistoß. Normalerweise würden die Spieler nun zetern, weil ein Elfmeter fällig wäre. Aber heute meckert niemand. Werner Leuermann hat den Trainern und Spielern vor dem Spiel gesagt, sie sollten »bei Schiedsrichterfehlern nicht rummaulen«, der Mann sei schließlich fast 90, die Spieler nickten.

Später laufen sie in einem Tempo über den Platz, dem Rank kaum folgen kann. Meist ist er nicht dort, wo der Ball ist, sondern 20 Meter weit weg. Werner Leuermann weiß das. Er steht neben dem Feld und sieht zu. Manch ein Trainer hat sich über die Jahre bei ihm beschwert: »Es ist schön, dass Herr Rank noch pfeift. Aber es wäre fast schöner, wenn er bald aufhörte.« Willi Rank, der Schiedsrichter mit den zwei Hörgeräten!

Seit zwei Jahren pfeift er deshalb, auf Leuermanns Drängen, nur noch Jugendspiele. Das Feld ist kleiner, die Spieler sind weniger athletisch, die Halbzeiten kürzer, und die Partien finden bei Tageslicht statt.

Das Spiel heute endet 1:0 für Landshut, die Köpfe der Jungen sind so rot wie ihre Trikots. Willi Rank dagegen wirkt unangestrengt. Keine Wehmut liegt in seinem Blick, vielmehr fragt er Leuermann noch auf dem Platz: »Vielleicht hast du ja ab und an ein Vertretungsspiel für mich, Werner?« Der Obmann klopft ihm auf die Schulter: »Das passt schon, mein junger Freund.«

Ganz ohne Pfeifen wird er nicht leben müssen. »Bereits bis Oktober stehe ich im Spielplan«, sagt er und spricht von Abendpartien unter Flutlicht über die volle Distanz, »90 Minuten Fußball!«. In den letzten Jahren hat er sich sein zweites Standbein aufgebaut, Freundschaftsspiele. Marco Maurer