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Alles für den Frieden

Bei Sat 1 ist Henning Baum „Der letzte Bulle“. Frauenzeitschriften preisen ihn als richtigen Kerl im Fernsehgeschäft. Stimmt das? Eine Begegnung in der Boxhalle

Henning Baum, geboren 1972, schlägt die Klobrille so, wie er auch als der letzte Bulle Mick Brisgau in der gleichnamigen Serie auf Verbrecherjagd geht – rabiat. Es kracht. Das Geräusch wirft in dem kleinen Toilettenraum die Frage auf, ob die Brille jetzt mit dem Fuß nach oben gekickt oder doch eher mit den Händen nach unten geschlagen wurde. Während ein lautes Schniefen ertönt, schließt man letzteres aus: Henning Baum dürfte kein Sitzpinkler sein. Kurz zuvor rülpste er noch auf dem Weg Richtung Toilette und lobte die Gesäße der Frauen in der Boxhalle, die – wie zuvor Baum selbst – ihre Körper trainierten. Die Frauen kicherten nur, fühlten sich aber sichtlich nicht belästigt.

„Ich darf das“, sagt Henning Baum wenig später an einem Tisch in einer Ecke einer Gelsenkirchener Halle sitzend. „Wir fühlen uns alle wohl dabei“. Im Ruhrgebiet schäkert man ein wenig kerniger. Und „die ganze Genderdebatte interessiert mich überhaupt nicht“ – die gebe es auch im Pott nicht. „Denn hier ist wie früher.“ Übrigens sagen auch besagte Frauen später: „Henning darf das. Kein Problem.“

In diesem Schalker Box-Biotop, von dem Baum sagt, es sei sein „Heiligstes“, ist er seiner Figur Mick Brisgau aus Der letzte Bulle noch näher als erwartet. Baum verkörpert in der Serie einen Ermittler, der eigentlich alles darf. Der Plot macht es möglich: Polizist Brisgau war 20 Jahre im Koma, erwacht und kehrt in ziemlich altbackener Manier zurück in den Dienst. Die Autoren bedienten sich bei der Entwicklung merklich bei der BBC-Serie Life on Mars .

Brisgau kennt jedenfalls Handys genauso wenig wie politische Korrektheit, Feminismus und Systemfußball. Und dann wird ihm ausgerechnet Andreas Kringge (Maximilian Grill) zur Seite gestellt – ein pedantischer Kriminologe im schicken Anzug, Typ Jogi Löw. Brisgau dagegen macht eher irgendwelchen Rumpelfußballern früherer Tage Konkurrenz, trägt Jeans und Cowboystiefel. Aus diesem Clash der Charaktere und dem obligatorischen Ruhrpott-Slapstick speist sich eine der erfolgreichsten Serien bei Sat 1, die dritte Staffel hatte durchschnittlich gut 3,5 Millionen Zuschauer. In der neuen Runde, die an diesem Montag beginnt, wird Brisgau zum Waldschrat.

Ein früherer Kollege Baums von der Bochumer Schauspielschule sagte mal über ihn, er sei der „Hans-Peter Briegel des Schauspiels“, weil Fußballer Briegel („Die Walz aus der Pfalz“) als grätschende Naturgewalt der 80er Jahre galt. Der Kollege sagte das, weil auch Baum in der eher auf Feinsinn bedachten Schauspielerei auffällt. „Das waren ganz andere Menschen als ich – äußerlich als auch vom Gebaren“, sagt Baum über die Zeit damals und meint wohl auch viele der anderen Schauspieler heute.

Frauenmagazine schrieben über ihn, er sei der letzte echte Mann im deutschen Fernsehgeschäft. Und als dieser muss er Auskunft erteilen, weswegen es eine Vielzahl von Agenturmeldungen über Baum gibt. Eine Auswahl: „Henning Baum, 39, hat konkrete Vorstellungen von Männlichkeit“; „Henning Baum findet Männer mit Schönheitswahn verwirrt“, „Henning Baum findet Verantwortungsbewusstsein männlich“. Arbeitet man sich in die Berichterstattung über ihn ein, kommt man einerseits zum Ergebnis, Deutschland hat offenbar keine drängenderen Probleme. Andererseits scheint Baum auch ein Helmut Schmidt für Geschlechterfragen zu sein. Denn immer wenn die Deutschen (oder die deutschen Medien) nicht weiter wissen, wie das jetzt so ist zwischen Mann und Frau, wird Baum gefragt; er einer dieser sonoren Welterklärer unseres Landes.

„Mich langweilt das“, sagt Baum mit dem Brummton eines Bären auf Futtersuche. Dann räuspert er sich und sagt: „Ich hab schließlich nicht mehr Kompetenz in Sachen Männer und Frauen als andere, nur ich sag halt was zu. Im Grunde genommen finde ich die Weltpolitik viel spannender.“ Ein guter Satz und noch immer eine Parallele zu Fußballer Briegel, der neben dem Platz als cleverer Kerl galt. Dass der ehemalige Waldorfschüler Henning Baum auch ohne Probleme das Wort Fiskalklippe aussprechen und darüber genauso wie über die europäische Idee sinnieren kann, ist nicht so öffentlich bekannt.

Ein bisschen ist er selbst Schuld an seinem Macho-Image. Er spielt mit, sagt Dinge wie: „Früher hatte ein Mann eine Spiegel – und ein Playboy -Abo, damit kam ein Mann durch die Welt“, obgleich er auch sagt: „Das ist keine Rolle, so bin ich eben.“ Und die Figur, die ihn bekannt machte, Mick Brisgau, „hat eine ganz klare Haltung zu Frauen und die speist sich daraus, dass er sich keinen Kopf über sie macht. Und wenn ihm eine gefällt, macht er ’n Spässken mit ihr“, sagt Baum. Nur einen Moment später kommt eine Frau von der Trainingsgruppe auf ihn zu. „Günay, meine Schönheit aus 1001 und einer Nacht“, ruft er überschwänglich. Küsschen rechts, Küsschen links. Man macht Spässken. „Die ist fit, die Kleine“, sagt Baum als die Frau wieder geht. Sie hört das, dreht sich um, zwinkert, und der Verdacht, dass Kommissar Brisgau und Akteur Baum eine Person sind, erhärtet sich zusehends. Später kommen noch Silke und Patrizia. Ähnlicher Ablauf. Schäkerstündchen.

Gut eine Stunde zuvor, Boxtraining. Baum ist dreimal die Woche im Ring. Erst zehn Minuten Seilhüpfen, dann 30 Minuten „pratzen“, also tänzeln und mit Boxhandschuhen auf Schaumstoffdämpfer schlagen, die ihm ein Trainer namens Tobi – mit der Figur eines Catchers und Mephisto-Gesichtszügen – hinhält. Schwitzen. Adrenalin. Männersport. Aus den Boxen dröhnt David-Guetta-Techno. Kennengelernt haben sich die beiden Kolosse ungelogen beim Messerkampf – auch das trainiert Baum ab und an. Später steht er mit Sparringspartner „Schimi“ im Ring, der mit dem Fuß auf ein Polster kickt, das Baum hält: „Hau’s weg, Mensch. Da kriegt ja das Polster noch blaue Flecken.“

Als comicgestählter Teilnehmer der Popkultur fällt einem auf, die Ergonomie Baums ähnelt der von He-Man. Über die Menschen hier sagt er: „Das ist hier mein persönliches Glück. Freunde treffen, schwitzen und trainieren.“ Über sein anderes Glück, seine Familie, erzählt Baum kaum etwas. Nur soviel ist gewiss: Seine Eltern sind ein Arzt und eine Stewardess. Baum ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Agentin sagt, „Henning ist sehr zurückhaltend. Durch den Bullen hat er einen Bekanntheitsgrad erreicht, dass das nötig macht. Essen ist ein Dorf.“

Messerkampf, Boxen – alles Hobbys von Baum. Sportarten aus einer alten Welt, warum braucht das ein moderner Mensch? Baum räuspert sich wieder und sagt: „Immer alles für den Frieden tun, aber wenn der Krieg kommt, dann voll rein gehen, für ihn gerüstet sein.“ Er lacht über sein Pathos, merkt aber selbst an, der Ausspruch sei frei nach Carl von Clausewitz, dem preußischen General und Militärtheoretiker. Der General auf Schalke, Trainer Tobi, ruft: „Henning, nicht reden, boxen.“

Als er nach dem Training wieder sprechen darf, sagt Baum über seine Serienfigur: „Mick Brisgau ist hinabgestiegen in den Hades.“ Baum hat einen Hang zur Mythologie. Und ähnlich wie die Odyssee oder amerikanische Serien ist Der letzte Bulle mittlerweile aufgebaut. Es findet innerhalb der Staffel eine Entwicklung statt, in der vierten wird derjenige gesucht, der Brisgau einst ins Koma schoss. Deutsche Autoren beginnen, sich am US-Fernsehen zu orientieren , eine gute Entwicklung. Die deutsche Bauart ist weiter zu spüren, etwa wenn der Fall am Ende einer Folge in Sekundenbruchteilen gelöst wird. Schwierig.

Ob die vierte Staffel die letzte sein wird, verrät Baum nicht. Aber es scheint so. Sein Mienenspiel verrät diesbezüglich mehr als seine Worte. Dann könnte Baum sich wieder auf andere Rollen fokussieren. Angst davor, nur auf den brummigen Charakter festgelegt zu werden, hat er nicht. Sein erstes Stück, das er einst im Theater in Bochum spielte, war eines des Aufklärers Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux. Über den Fortgang seiner Karriere macht er sich keinen Kopf. „Ich bin ein Stoiker“, entgegnet er stoisch. Und wer wissen will, wer dieser Baum wirklich ist, muss sich folgenden Satz zweimal durchlesen – ein echter Baum, in vier Schritten von der Geschlechterdebatte zum Weltfrieden: „Männer und Frauen sollten einander achten. Innerhalb der Familie sollten sie liebevoll miteinander umgehen. Auch sonst sollten sich die Menschen gegenseitig schätzen, Anstand haben. Und die Völker sollten miteinander in Frieden leben. Vom Kleinen zum Großen – ja?“ Ja. Der Mann hat Spaß. Und dann folgt, natürlich, ein Raunzen. Marco Maurer