Logo - Marco Maurer Journalist


Bumm! Ächz! Zzzz! Hurra!

Aus der ZEIT-Reihe "Das gehört nicht ins Feuilleton." Jetzt mal ehrlich: Was wir wirklich lesen, hören, tun. Diese Woche: Marco Maurer, Journalist und Buchautor

Bumm! Eigentlich ist der Kauf dieser Bücher eine Zeitreise. Plötzlich bin ich wieder acht, lümmele auf der Cord-Couch meines Vaters, schlürfe Onken-Trinkjoghurt und lasse mich in fremde Welten entführen. Aber nicht in bildungsbürgerlich gefeierte Astrid-Lindgren-Landschaften, sondern in die Comicstrips von Walt Disneys Lustigen Taschenbücher aus dem Ehapa-Verlag. Mit meinem Vater war ich einmal in Disneyland in Orlando. Wo ich aber eigentlich immer hin wollte, war die Ehapa-World in Stuttgart. Die gab es nie. Ich malte mir den damaligen Verlagssitz nur immer so aus wie einen Vergnügungspark.

In meiner Ehapa-World wuselten überall ellenlange Zeichner herum, die aussahen wie ältere Versionen von Goofys und einen Interjektionsmix aus Italienisch, Schwäbisch und Esperanto sprachen, die sich dauernd am Kopf kratzten und auf ihren Bleistiften rumkauten. In einer Ecke stand das Auto von Donald Ducks Superhelden-Alter-Ego Phantomias, in einer anderen befand sich Daniel Düsentriebs Werkstatt, auf einem Hügel die Nachbildung von Dagobert Ducks Geldspeicher. Die Figuren, auf die ich traf, lebten das, was wir heute fordern: Vielfalt, Gleichberechtigung, kein Rassismus. Mäuse konnten mit Enten, Enten mit Außerirdischen, Außerirdische mit Katern. Und die Ganoven und Hexen waren zwar ganovig und hexig, aber trotzdem gutmütig. Hurra!

Das Problem ist, ich bin mittlerweile – ächz! – ein erwachsener Mann und lebe im Jahr 2020. Doch alle paar Monate bin ich immer noch – schwelg! – in der Ehapa-World zu Besuch. In den letzten 15 Jahren habe ich mir ein Ritual zugelegt: Immer wenn ich eine Reise antrete, besuche ich vorher den Bahnhofs- oder Flughafenkiosk. Mein Gepäck quillt schon über mit Reiseführern und Romanen, aber es müssen noch mindestens zwei dieser bunten Disney-Bücher mit.

An der Kasse ist mir das immer – ähm! – peinlich, meist steht eine jüngere Mitarbeiterin vor mir und lächelt mich geheimbündlerisch an oder unwissend aus. Manchmal wünschte ich mir in diesem Moment, dass ich ein Mädchen an der Hand hätte, das mir sagt: „Papi, gib mir Donald!“ Aber die Ausrede habe ich nicht (kinderlos, noch zu haben, Ex-Freundin rät ab).

Im Flugzeug schert mich dann schon nicht mehr, ob neben mir eine Geschäftsfrau, Toni Garrn oder Queen Mum sitzen: Ich beginne die LTBs (Insider-Abkürzung) zu lesen. Und eigentlich fängt in diesem Moment mein Urlaub an. Ich entspanne. Seufz! Alle sonstige Urlaubslektüre soll warten. Sie würde mein Hirn beschäftigen, und darauf lege ich gerade zum Ferienbeginn nicht so viel Wert.

Das könnte nun so wirken, als ob die LTBs keine intelligenten Werke wären. Papperlapapp! Die aktuellen LTBs sind zwar nicht so clever wie die früheren, oft Gaga-Geschichten. Aber auch das ist im Urlaub gut, weil ich dann am Pool eindöse. Zzzzz! Allerdings stoße ich noch ab und an auf grandiose Geschichten. Wenn Sie, liebe ZEIT-Leser, nun darüber nachdenken, noch in die Ehapa-World einzusteigen, bestellen Sie sich vielleicht als Erstes das LTB Nummer 130. Ein Meisterwerk!

Es führt sie ins Jahr 1988, damals fanden die Olympischen Spiele in Seoul statt. Dagobert Duck bekommt von Daniel Düsentrieb die Zuvika (Zukunftsvideokamera) und ein politisches Roadmovie beginnt, das den Nord- und Südkorea-Konflikt in sein Zentrum stellt, weil es ein Liebespaar porträtiert, das auf beiden Seiten der Mauer zu Hause ist, Kim im Süden, Chen im Norden. Ich habe in diesen 250 Seiten mehr über das geteilte Land gelernt als in jedem späteren Geschichtsunterricht oder im ARD-Brennpunkt. Kawumm!

Damals lasen die LTBs alle, sie waren unter Kindern und Jugendlichen verbreitet wie heute Snapchat und Instagram. Sie gehörten dazu wie die Fragen: „BVB oder Bayern?“, „Cola-Schlangen und 10-Pfennig-Eis?“ (Verdammt, ich werd alt!).

Heute hat die rückhaltlose Identifikation mit der Reihe auch bei mir nachgelassen. Schluchz! Denn nach dem Urlaub stelle ich die neuen LTBs zwar in mein Bücherregal (bei der Reiseliteratur), aber mit dem Rücken nach hinten. Ich schäme mich nicht für sie! Doch ihr Erscheinungsbild ist mir inzwischen zu trashig, stört. Deswegen, lieber Ehapa-Verlag: Wollen Sie nicht einmal eine Erwachsenenedition herausbringen? Vielleicht annotierte Fassungen mit speziellen Einbänden aus Leinen und anderem Bildungsbürger-Pipapo? Ich bin mir sicher, es gibt Käufer. Mich etwa. Ich freu mich, die Comics ins Regal neben Proust stellen zu können! Und PS: Lieber Ehapa-Verlag, suchen Sie LTB-Autoren? Ich will so enten!