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Bye, Bye, Board?

Wer auf der Skipiste cool sein wollte,musste sich früher nur auf ein Brett stellen. So einfach ist das heute nicht mehr

Die Snowboarder werden rar. Diesen Eindruck nehmen viele Wintersportler aus den Skigebieten mit. Denn es begegnen ihnen anscheinend immer weniger Menschen, die auf einem Brett unterwegs sind. Zeitungen titeln „Snowboarden ist out“. Das Schweizer Fernsehen fragte gar: „Verschwinden die Snowboarder von den Skipisten?“

Boris Kilvinger ärgern Schlagzeilen wie diese, denn seiner Meinung nach stützen Zahlen den Abgesang auf das Snowboard nur bedingt, und Kilvinger glaubt an Zahlen. Er ist Sportökonom und arbeitet für den Snowboard-Verband Deutschland (SVD). In seiner Diplomarbeit hat er sich mit dem wirtschaftlichen Potential von Outdoorsportarten beschäftigt. Er fand heraus, gestützt auf eine Marktanalyse des Allensbach-Instituts, dass die Zahl der Snowboarder in Deutschland von 2002 bis 2008 „stark angestiegen“ ist. Seither stagniert sie auf diesem Niveau, bei mittlerweile 3,2 Millionen in Deutschland. 1995 gab es hierzulande eine Million Snowboarder. 2002, zu den Boomzeiten, waren es 2,1 Millionen.

Der Skiverkauf ging weltweit in den vergangen 30 Jahren von elf Millionen Paar jährlich auf gut drei Millionen zurück, während sich das Snowboarden laut dem amerikanischen Verband der Sportartikel-Industrie NSGA zu einer der am schnellsten wachsenden Sportarten des 20. Jahrhunderts entwickelt habe. Die Frage ist heute nur, ob das Ende dieser Entwicklung erreicht ist. Das lässt sich allerdings nicht so eindeutig feststellen, denn die Branche hütet ihre Verkaufszahlen.

Michael Bauer, Deutschlandchef des Herstellers Salomon, findet, diese Zahlen seien ohnehin nicht ganz so aussagekräftig, da nur die Hälfte der Menschen, die Snowboards oder Ski im Keller haben, auch damit führen. Immerhin gibt Bauer preis, dass der „Wachstumsbereich Snowboard auf einem niedrigen Niveau ist“. Vor allem das Verhalten der Einsteiger habe sich verändert: „Sie fahren nicht mehr Snowboard, sondern Freeski“, sagt der Manager.

Das ist auch aus den Skigebieten zu vernehmen. Der Schweizer Bergort Zermatt erklärt, der Snowboard-Boom sei vorbei, ähnlich wie in Davos oder Saas-Fee. In den kleineren Gebieten ist es kaum anders. Die Skischule Lenggries zum Beispiel berichtet, es gebe nur halb so viele Snowboarder wie vor ein paar Jahren. Der „Head-Shaper“ des Funparks an der Zugspitze – also derjenige, der die Schikanen für die Snowboarder präpariert – erklärt, in seinem Park gebe es immer mehr Skifahrer. Andererseits zeigen Gebiete wie Laax oder der Stubai-Gletscher, die sich auf Boardfahrer konzentrieren, dass es durchaus noch Wachstum im Snowboardsport gibt.

Wer etwas auf sich hält in der Szene, geht in Innsbruck zum Snowboarden, wer es professionell betreibt, zieht gleich dorthin. So erklären etwa die Betreiber des „Stubai Zoo“, eines riesigen Schneeparks, ihr Geschäft sei in den vergangenen Jahren „sehr gewachsen“ – mit einem beträchtlichen Anteil an Snowboardern. Skifahrer spielen auch in Laax, einem der Hauptziele für Snowboarder in Europa, eher eine Nebenrolle. Snowboarder, so ein Sprecher der Betreibergesellschaft, seien dort zuletzt „beträchtlich mehr geworden“. Laax lockt seit 2010 mit einer 160 Meter langen, sieben Meter hohen „Monsterpipe“, der größten Europas. Die Benutzer sind zumeist um die 20 Jahre jung. Es scheint eine Konzentration auf bestimmte Gebiete stattzufinden, was andernorts den Eindruck erweckt, es gebe kaum mehr Boarder.

Bene Heimstädt trifft man meist auf Tiroler Pisten an. Auch er sagt: „Das Snowboarden war schon einmal fester verankert in der Öffentlichkeit.“ Heimstädt steht diese Analyse zu. Er ist zugleich Teil der Szene und Betrachter von außen. 1994 gründete er gemeinsam mit anderen das Pleasure Snowboard Magazin , mittlerweile eine der größten Zeitschriften zum Thema in Deutschland mit einer Auflage von 40 000. Der durchschnittliche Leser ist 21 Jahre alt, 16 Jahre jünger als der Chefredakteur. Er sagt, er könne sich nicht mehr vorstellen „auf zwei Brettern zu stehen“. Und das, obwohl er sich als klassisches „Skikind“ bezeichnet. Er sei nicht nur von seinen Eltern, sondern auch vom Skiclub erzogen worden. Aber dann kam das Snowboard. Es ergriff ihn und eine ganze Generation. Und „dieses Gefühl!“ – wie Surfen oder Schweben. Ein Gefühl, das Heimstädt auf Skiern zuvor nie erfahren hatte.

Aber auch eines, das moderne Skier dem Snowboard heute streitig machen. Denn bei den Skiern gab es in den vergangenen Jahren die größeren Innovationen. „Wenn ein Zwölfjähriger cooler werden will, dann schnallt er sich heute Twintips drunter“, sagt Heimstädt. Das sind Ski mit vorne und hinten aufgebogenen Spitzen, die sich nicht in die Piste bohren und auch rückwärts fahren lassen. „Das Snowboard ist dann überflüssig“, so Heimstädt.In einer imaginären Schulklasse, die vor zehn Jahren noch vollständig aus Snowboardern bestanden hätte, sitzen inzwischen „etwa 50 Prozent Boarder und 50 Prozent Skifahrer“, so Heimstädt. Diese Einschätzung teilt auch der Deutsche Alpenverein (DAV). Durch die modernen Modelle habe man genauso viel Auftrieb wie früher auf dem Snowboard – mit ein Grund, weswegen es weniger Snowboarder gebe, meint der DAV, ohne sich auf konkrete Zahlen zu stützen. Thomas Meßmer, Leiter der Skischule Lenggries, sagt: „Das Skifahren hat durch Freestyler an Coolness gewonnen.“ Auch die einst dröge Ästhetik der Latten hat sich geändert. Neueste Designs von Rocker-Skiern sind hawaiianischen Surfbrettern nachempfunden.

Zudem spricht ein weiterer entscheidender Faktor für einen Umstieg: das Naturerlebnis. In Zeiten, in denen Menschen auf ihre Körper achten, von Wellness reden und Biobrause trinken, seien „Fahremotionen alles“, wie Salomon-Chef Bauer es ausdrückt. Auf diesen Umstand haben Teile der Snowboard-Industrie bereits reagiert und Splitboards erfunden. Das sind Snowboards, die in der Mitte teilbar sind, die man zum Aufstieg wie Ski benutzen kann. Das ist aber nicht für jeden komfortabel genug, meint der DAV. Auch der Salomon-Chef sagt, der Großteil der Snowboarder jenseits der 35 werde auf Ski umsteigen, weil Skifahren bequemer sei. Viele Snowboarder-Veteranen erreichen langsam das Alter jenseits der 40, und an den Silversurfer glaubt Bauer nicht.

Bene Heimstädt, der Magazin-Macher, verärgert diese Prognose. „Klar ist man irgendwann zu alt, um über Schanzen zu hüpfen.“ Aber die Snowboard-Industrie habe bisher auf die „große Zielgruppe jenseits der 40“ nicht reagiert. Hier lohnt sich ein Blick in die USA. Dort liegt der Ursprung des Snowboardens – in der Surfkultur. An Kaliforniens Stränden reiten heutzutage nicht nur Jugendliche Wellen, sondern Menschen jeden Alters. Marco Maurer