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Das Solo-Fondue

Unser Käsekolumnist meint: Wenn es einem ganz kalt ums Gemüt ist, hilft Brot tunken – und ein ganz bestimmter Käse.

Wir sind uns hoffentlich einig, Fondue isst man nicht allein. Es ergibt, ich fühle mich dieser gefühlten Mehrheit zugehörig, keinen Sinn, einen Topf blubbernden Käse auf den Tisch zu stellen und ihn nicht für mindestens zwei, besser sogar mehr Personen zu decken. Doch was ist, wenn man einmal ganz spontan Lust auf geschmolzenen Käse hat? Vielleicht weil an diesem Tag die Chefin genervt hat oder es ganz arg kalt ist, wenn nicht draussen vor der Tür, dann weit drinnen ums Gemüt. Zur Schmerzlinderung empfiehlt es sich, laut Entspannungsliteratur, in eine Wanne zu steigen oder, laut Käsefreundinnen und -freunden wie mir, Brot in Käse zu tunken. Aber eben: allein?

Es gibt einen Problemlöser.

Bevor ich aber auf den Namen dieses Käses eingehe, eine Zahl: Der Single-Haushalt ist mit Abstand die meistverbreitete Wohnform in der Schweiz. Allein 36 Prozent aller Menschen haben, wollen sie spontan Brot in Käse tunken, oft kein Gegenüber, ausser dem Netflix-Account. Und da das plötzlich verdunkelte Gemüt eben nicht mit Terminen nervt, ist es in der Regel kaum möglich, eine Käsetunk-Tischgesellschaft noch für den gleichen Abend auszurufen.

Und damit endlich zum Problemlöser: Der Käse hört, je nachdem ob er in der Schweiz oder in Frankreich gekäst wird, auf den Namen Vacherin Mont d`’Or oder Vacherin d`’Or (vom französischen «vache» für Kuh). Der Gipfel des Mont d’Or im Jura befindet sich auf der französischen Seite, aber viele Alpweiden um ihn herum gehören zur Schweiz; daher ist unklar, in welchen der beiden Ländern der Käse einst erfunden worden ist.

Auch der Geschmack des Käses mit der doppelten Staatsangehörigkeit unterscheidet sich, je nach Literatur, leicht bis stark. Ihr Käsekolumnist vertritt einen gemässigten Ansatz in diesem jahrhundertealten Käse-Provenienz-Streit, denn fürs Fondue eignen sich beide. Unstrittig ist: In Frankreich wird der Vacherin immer aus Rohmilch hergestellt, in der Schweiz dagegen aus erhitzter Milch. Denn Ende der achtziger Jahre rafften in der Schweiz mit Listerien verseuchte Vacherins 30 Menschen in den Tod.

Zurück in harmonischere Gefilde: Auf den Alpweiden rund um den Mont d’Or arbeiten Menschen mit Ziegen oder Kühen schon mindestens seit dem 12. Jahrhundert miteinander; und bereits in einem Dokument aus dem Jahr 1280 wird ein mit einem Gurt umwickelter Käse erwähnt, ein Vorläufer? Namentlich wurde der Vacherin erstmals in Schriftstücken aus den Jahren 1812 und 1845 erwähnt.

Der Vacherin ist traditionell nur bis Mitte April erhältlich. Das hat mit früher zu tun, denn nachdem die Kühe von den Alpen in ihre Ställe getrieben worden waren, gaben sie zu wenig Milch, um daraus die grossen Gruyèrelaibe zu produzieren. Die Bäuerinnen und Bauern kamen auf die Idee, kleinere Käse herzustellen.

Um diesen altehrwürdigen Vacherin in der Gegenwart zu bekommen, ist es also nötig, vor Mitte April an eine Käsetheke zu spazieren und ein in Fichtenholz eingerahmtes Käschen zu kaufen. Ich wähle dafür einen Käseladen, der sich auf Käse aus der Westschweiz spezialisiert hat. Dort arbeitet eine Käseverkäuferin, nennen wir sie Julie, die selbst aus dem Jura stammt und anmerkt, man dürfe den Käse später im Backofen nicht zu stark erhitzen, sonst trenne sich das Fett von den Eiweissen und der Käse wäre hinüber.

Ausserdem gibt Julie mir zu verstehen, dass Bewohnerinnen des Jura, ihre Familie etwa, ihren Vacherin nicht schmelzen, sondern ihn einfach so, wie er ist, essen. Doch ihre Kundinnen und Kunden schwören immer mehr auf den Schmelztrend. Vermutlich auch, weil er gut zu Instagram passt. Auf dem sozialen Netzwerk ist geschmolzener Käse ein Kink, Vacherin sein glamourösester Vertreter.

Zu Hause angekommen – Vorsicht Rezept –, schlage ich die Holzschale des Käses in Alufolie ein. Ich wählte übrigens den kleinstmöglichen Vacherin, 400 Gramm Käse nur für mich. Dann steche mit einem Holzspiess ein paar Löcher in den Käse und setze in sie die fünf, sechs Stifte einer Knoblauchzehe. Zuvor hatte ich noch – unbedingt nachmachen – die Reste des Käses am Holzspiess abgeknabbert; der noch nicht erwärmte Käse schmeckte milchig-sanft, aber auch waldig. Zum Schluss giesse ich etwas Weisswein darüber und zwar genau den, den ich später dazu trinken möchte, Julie hatte mir einen unfiltrierten Wein empfohlen, Wein mit mineralischer Note passt perfekt zu allerlei Fondue.

Während der Käse, da muss man ein bisschen ausprobieren, bei 150 bis 200 Grad etwa 25 Minuten im Backofen schmilzt, breitet sich nicht nur ein angenehmer Käseduft zwischen Küche und Wohnzimmer aus, sondern ist es auch Zeit, den Tisch zu decken. Ein Salat mit Kräutern, Brot, Kartoffeln und Ihre jeweiligen Fondue-Vorlieben empfehlen sich als Beilage; ich mag gerne ein wenig Aprikosenmarmelade dazu.

Zwei Vorteile hat das sahnig-cremige Solo-Fondue mit dem süss-säuerlichen Geschmack: Im Gegensatz zum herkömmlichen hängen dessen olfaktorischen Hinterlassenschaften nicht noch am nächsten Tag zwischen Küche und Schlafzimmer. Und: Es kann auch wunderbar mit einem Gegenüber genossen werden, das nicht das Brot im Topf verliert. Ihr Käsekolumnist schwört auf einen Bildschirm, auf dem Fussball läuft, Netflix geht aber bestimmt auch.

Der Käse in Kürze, heute: Das SBB-Käseplättli
Mache ich wieder? Kommt auf meine Chefin an.
Warum? Weil es guttut.
Zu welcher Gelegenheit? Für ein wenig «You’ll never walk alone» in einsamen Momenten.
Passt gut zu: Tristesse und Cornichons.
Glam-Faktor: Allein, aber trotzdem Fondue? Mehr Glam geht kaum.
Fun Facts: Der Fichtenring des Schweizer Vacherins muss aus dem Kanton Waadt kommen. Und: Manche Vacherin-Süchtige frieren spätestens im April ein paar davon ein.
Riecht wie: Ein Abend in einer Holzhütte im Jura.
Gesamtpunkte: 91 von 100 Punkten.

Hier geht es zu dieser und allen weiteren Käsekolumnen des Magazins der NZZ am Sonntag.

Marco Maurer ist ausgebildeter Käser und Journalist. Beide Professionen bringt er in dieser Käsekolumne zusammen. Er ist dennoch auf Sie angewiesen. Schreiben Sie ihm Ihre Lieblingssorten, Highlights, Guilty Pleasures, Rezepte, Hinweise, Fragen, Kritik und Ratschläge – Hauptsache, Käse!