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Sie nennen ihn Kinderkäse

Babybel hat einen miesen Ruf. Unser Käsekolumnist meint: zu Unrecht! Eine Ehrenrettung.

Kürzlich bin ich auf eine Fernreise gegangen, weit weg, für ein paar Wochen. Davor mussten noch die Reste vom Kühlschrank aufgebraucht werden. Das meiste wanderte in einen Salat, die Eier, die Tomaten, die Avocado und der Paprika. Alles andere gab ich einer befreundeten Bekannten, die in meiner Abwesenheit meine Pflanzen giesst. Interessant ist allerdings, was ich ihr nicht gab – vier, fünf kleine, mit rotem Wachs ummantelte Käsetaler, Babybel.

Der ist einer der weitverbreitetsten Käse der Welt. Es gibt den Käse mit dem ikonischen Produktdesign überall, und, wüsste man es nicht seit Kindertagen besser, er könnte auch ein in ein Knisterpapierchen eingewickeltes Praliné sein. Trotz diesem leichten Anflug von Glam ist das Image des heutigen Hauptacts dieser Käsekolumne bescheiden. Ich habe meiner Giess-Freundin den Billigkäse vorenthalten, weil ich nicht ihren guten Geschmack verletzen wollte. Sie ist Schweizerin und, wenn sie nicht gerade meine Pflanzen wässert, auf Käsealpen einkehrende Wanderin. Wer weiss also, wie sie zu so einem profanen Industrieprodukt wie dem Babybel steht?

Viele Menschen glauben auch, dass hinter der roten Paraffinhülle gar kein Käse steckt. In den wenigen Käse-Sachbuch-Standardwerken wird er verschwiegen. In der «taz» hiess es einmal, Babybel sei lediglich ein «käseähnliches Erzeugnis», ein Schweizer Kaufhaus wiederum schrieb: «Wenn Sie den Babybel für das Gelbe vom Ei halten, dann sollten Sie vielleicht doch mal in unsere neue Delikatessabteilung kommen.» Babybel wird nicht ernst genommen. Ich finde, wir tun ihm unrecht.

Doch erst zu seiner Geschichte: Der 22-Gramm-Käse steht für mich für gleich zwei Jahrzehnte. Die Neunziger, weil die Ästhetik dieses Produkts, ähnlich wie Taschen aus LKW-Planen und Moonboots, an diese Zeit erinnert. Die Sechziger, weil der transportable Käse gut in das Zeitalter des Aufkommens des Convenience-Food passt, ich mir vorstellen kann, wie der Protagonist der Serie «Mad Men», Don Draper, ihn auf Pan-Am-Flügen serviert bekam.

Es steckt ein wenig Wahrheit in beiden Annahmen. Denn erfunden worden ist der Käse 1977, also irgendwo zwischen diesen beiden Jahrzehnten, und er soll auch deswegen weltbekannt geworden sein, weil ihn Fluggesellschaften schnell als essenziellen Bestandteil ihres Bordmenus entdeckten. In Zeiten, als Flugreisen noch als exklusiv galten, verlieh ihm das zeitweilig eine mondäne Note. Die staatliche Fluggesellschaft der DDR, die Interflug, hatte ihn angeblich sogar im Angebot für ihre Erste-Klasse-Passagiere; und das, obwohl der Babybel vom Klassenfeind kam.

Doch – von welchem? Im «Zeit-Magazin» schrieb ein Autor einmal: «Manchmal gab es nur Babybel zum Frühstück, in unserer Wohngemeinschaft nannten wir das den Holland-Brunch.» Die Niederlande wurden auch bei einer nichtrepräsentativen Umfrage im Freundeskreis am häufigsten genannt, vermutlich weil die unauffällige Note des Babybel nahe an der meistgeschmähten Käsesorte der Welt, dem Gouda, liegt.

Nun, bonjour, der Babybel ist französischer Herkunft. Er geht auf einen Mann namens Jules Bel zurück, der 1865 im französischen Jura begann, Käse herzustellen. Diese Idylle ist vorbei, heute ist die Groupe Bel ein Käse-Imperium, in über dreissig Ländern zu Hause, jährlicher Umsatz weit über drei Milliarden.

Im französischen Hauptwerk des Wachskäse-Imperiums sagte ein Babybel-Produktmanager in einer Kurz-Doku einmal, man sei zwar in einem Land voller raffinierter Käsesorten angesiedelt, doch Raffinese sei nicht ihr Ziel. «Unser Ziel ist es», so sagte er weiter, «einen Käse herzustellen, den auch Kinder mögen.»

Auffällig an diesem Satz ist das Wörtchen «auch». Es zeigt, der Babybel ist nicht nur – das kommt in vielen weiteren Schmähungen vor – ein Kinderkäse. Denn die eigentliche Zielgruppe sind wir – und bleibt dabei doch das Kind, das ewige, in uns. Uns entzückt dieser Käse, ähnlich wie wir manchmal am Kühlregal zur Milchschnitte greifen, ein Guilty Pleasure unter Erwachsenen, eine Erinnerung an unbeschwerte Tage. Und die wirklich Siebenjährigen mögen ihn auch, genauso wie später ihre Kinder.

Die unaufdringlich buttrig-weiche Textur des nur ein paar Tage gereiften Käses stört keinen Menschen, egal welchen Alters – und damit passt der Babybel auch hervorragend in das Zeitalter des globalisierten Geschmacks, in dem Aroma überbewertet ist. Und die, die ihn schmähen, tun es entweder mit liebevoller Ironie oder kaufen halt nur an der industriekäsefernen Käsetheke, von der manche meinen, es rieche darin wie in Wanderschuhen.

Doch ein Geschmäckchen hat der kleine Käse. In Zeiten der Nachhaltigkeit wirken sein Plastiknetz und die unnötige Folie wie Relikte aus Zeiten, in denen wir Flugreisen nur als einen riesengrossen Spass für uns selbst ansahen, den Kerosinausstoss aber nicht auf dem Schirm hatten.

Apropos, zwei Wochen nachdem ich den Käse aus meinem Kühlschrank genommen und in mein Reisegepäck verstaut hatte, fand ich die praktischen roten Cheese-Pods dort wieder. Draussen hatte es 32 Grad, blausten Himmel, Sonne, Wüstensand. Laut Angaben des Käse-Imperiums ist Babybel bis zu zehn Tage ungekühlt haltbar. Ich wartete auf den kühleren Abend, dann ass ich einen nach dem anderen zu ägyptischem Wein. Es schmeckte hervorragend.

Der Käse in Kürze, heute: Babybel
Mache ich wieder? Bien sûr, natürlich.
Warum? Gegenfrage: Warum nicht?
Zu welcher Gelegenheit? Snack, beim Radiohören, beim Zugfahren, bei Katern und Kindergeburtstagen. Besonders gut: nachts am Kühlschrank.
Passt gut zu: Ist eher der Typ Einzelgänger.
Glam-Faktor: Pan-Am-Economyclass.
Fun Facts: In Deutschland wiegt ein Babybel 20, in der Schweiz 22 Gramm. Und: Pro Minute werden weltweit 4000 Stück Babybel verkauft.
Riecht wie: Salz-Butter-Aufguss in der Sauna.
Gesamtpunkte: 81 von 100 Punkten.

Hier geht es zu dieser und allen weiteren Käsekolumnen des Magazins der NZZ am Sonntag.

Marco Maurer ist ausgebildeter Käser und Journalist. Beide Professionen bringt er in dieser Käsekolumne zusammen. Er ist dennoch auf Sie angewiesen. Schreiben Sie ihm Ihre Lieblingssorten, Highlights, Guilty Pleasures, Rezepte, Hinweise, Fragen, Kritik und Ratschläge – Hauptsache, Käse!