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Der blaue Himmel – eine Alternative für Twitter

Warum Twitter (X) untragbar geworden ist.

Ich schaue mir, als ich gerade diese Zeilen schreibe, mein Twitter-Profil an. Ja, ich nenne es noch immer Twitter, den von Elon Musk verpassten Namen (X) benutze ich nicht. Daher aktualisiere ich die App auf meinem Handy seit der Umbenennung auch nicht. Dort sehe ich noch immer den hübschen blauen Vogel. Er gibt mir ein gutes Gefühl. Twitter und ich sind Freunde geworden über die Jahre. Der Blick auf mein Profil, 2009 eröffnet, macht mich nostalgisch: Wir haben viel erlebt, ich habe dort erste Kontakte wie Freunde gefunden, Themen aufgespürt, Interviews angefragt, meine Arbeit vermarktet, Texte von Kolleginnen und Kollegen geteilt, Frauen und meinen späteren Chef kennengelernt. Erstere wollten mich küssen, Letzterer fragte mich, ob ich seine Redaktion leiten möchte.

Twitter war lange Zeit wichtig für mich. Doch seit Musk den Laden umkrempelt, ist die Freundschaft am Ende.

Daher ist nun der Zeitpunkt gekommen, Twitter Adieu zu sagen. Doch warum nun?

Dazu lohnt ein Blick auf die Vorkommnisse der vergangenen Woche. 162 einflussreiche jüdische Persönlichkeiten unterschiedlichster politischer Richtungen aus den USA veröffentlichten einen offenen Brief, in dem es hiess, von Musk und seiner Plattform «gehe eine Gefahr für Juden und andere» aus. «X ist zu einem Nährboden für Antisemitismus geworden und stellt eine der grössten Gefahren für Juden seit Jahren dar.» Ich hätte blind sein müssen, das nicht auch zu beobachten, mehr Hate-Speech, mehr Trolle, mehr krudes Gedankengut ist plötzlich zu lesen, da Musk nach seiner Twitter-Übernahme Rassisten, Neonazis und Verschwörungstheoretikern nicht nur freies Feld liess, sondern selbst dort agierte. Auch vergangene Woche teilte Musk nicht nur eine Wahlempfehlung für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), sondern verbreitete damit auch die Verschwörungserzählung, dass die deutsche Bundesregierung Seenotrettungs-NGO unterstütze, um mit diesen einen «europäischen Suizid» herbeizuführen. Dieses Narrativ des «grossen Bevölkerungsaustauschs» ist rechts aussen beliebt, eine «globale Elite» habe vor, eine weisse Bevölkerung gegen Geflüchtete auszutauschen, sagen sie.

Twitter ist wirklich zu X geworden, und dort ist es nun ein wenig so, wie in der einstigen Lieblingskneipe zu sitzen, in der man plötzlich auch Rechtsextreme trifft: untragbar.

Die jüdischen Persönlichkeiten riefen sowohl Regierungsorganisationen als auch Werbekunden wie Disney, Apple und Amazon dazu auf, X zu boykottieren. Doch auch wir privaten Twitter-Userinnen und -User ziehen unsere Schlüsse. Mastodon hätte ein gesunder Gegenentwurf zum Musk-Raum sein können, aber es ist bis jetzt eine umständliche Nerdkammer, und Threads, vom Beta-Mark-Zuckerberg-Clan, schafft es nicht, seinen Dienst in Europa an den Start zu bringen. Uns Suchenden hilft, dass am Horizont endlich eine mögliche AfT erscheint, eine Alternative für Twitter. Sie nennt sich Bluesky. Die App ist vom ehemaligen Twitter-Gründer Jack Dorsey erschaffen worden und erhält seit kurzer Zeit starken Zulauf. Alles noch rudimentär dort, aber es herrscht Aufbruchstimmung, auch wenn erste alte Grabenkämpfe der Lager schon zu beobachten sind. Sollte aus dem Hype um die App eine wirkliche AfT werden, verspreche ich mir, vielleicht naiv im Jahr 2023, eine freundlichere digitale Welt. Und mein Twitter-Konto? Ich lösche es nicht; insgeheim hoffe ich, dass Musk irgendwann die Freude an seinem Spielzeug verliert und der Vogel wieder fliegt

Sie finden unseren Autor auf Twitter (X) wie Bluesky wie Instagram unter @herrmaurer.