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Graffiti wird zur Handelsware

Vollgesprühte Wände: Die einen nennen es Vandalismus. Für die anderen ist es Kunst. Sie zahlen dafür Hunderttausende Euro.

Kunst ist vor allem schön anzusehen. Manchmal aber bringt sie auch viel Geld – selbst dann, wenn sie strenggenommen keine Kunst ist, sondern „nur“ Street-Art, also Graffiti auf einer Betonwand. Das würden zwar nur eingefleischte Kenner der Szene überhaupt als Kunst bezeichnen, während die Bewohner der besprühten Häuser es oft als bloße Sachbeschädigung beschimpfen. Was wiederum zwar dem Gesetz entspricht, aber ganz schön dumm ist. Denn Street-Art wirft gerade richtig Geld ab.

Das glauben Sie nicht? Dann besuchen Sie mal die Auktionsplattform Ebay. Dort nämlich machen einige Verkäufer mächtig Umsatz mit Street Art. Und es sind kurioserweise nicht die Künstler, sondern viel mehr die Hausbesitzer, die morgens irgendwann ein solches Spray-Werk auf ihrer Wand vorfanden und bereit waren, es abzuflexen. Sechsstellige Summen haben die findigen Verkäufer damit schon verdient. Und auch die aktuelle Auktion soll im Minimum 150 000 Euro bringen. Schuld sind Graffiti-Stars wie der französische Straßenkunst-Artist Zevs oder der britische Graffiti-Künstler Banksy.

In der Mona Road auf Jamaika prangte vier Jahre eines von dessen Werken: 2004 war Banksy in Kingston unterwegs. Er kaufte ein großes Stück Karton und schnitt daraus eine Schablone mit einem Mädchen, das in den Himmel schaut. Die Vorlage hielt er an die Hauswand einer Bar – und sprühte. Seither war die Mauer nicht mehr nur grauer Beton, sie war Kunst.

Wie der Barbesitzer vor fünf Jahren auf das Graffiti-Werk reagierte, ist überliefert: Es freute ihn nicht besonders, störte ihn aber auch nicht weiter. Es war für ihn so etwas wie ein Poster. Von der typisch jamaikanischen Gelassenheit sollten sich andere etwas abschneiden, denn der Barmann verdiente gut an dem Bild. Das kam so:

Um den Wert der Banksy-Werke wussten der Münchner Tobias Huber, der ein T-Shirt-Label betreibt, und dessen Freund Peter Dean Rickards, ein jamaikanischer Fotograf. Rickards kannte Banksy von einem gemeinsamen Projekt. Auch wenn beide sich nicht gerade gut verstanden. Denn Rickards fotografierte den Künstler bei der Arbeit. Street-Art-Künstler aber bleiben lieber unbekannt, schließlich sind sie im strafrechtlichen Sinne Sachbeschädiger. Deshalb wehrte sich Banksy auch gegen die Bilder.

Er ließ seinen Agenten auch verbreiten, er sei niemals in Jamaika gewesen. Rickards rächte sich auf seine Weise: Er kaufte dem Barmann in Kingston das Bild einfach ab – und ließ es von einem Dutzend Jamaikanern und einer spontan angeheuerten Baustellenmannschaft abflexen. Jetzt verkauft sein Freund Tobias Huber das 1000 Kilo schwere Stück bei Ebay. Er bekommt zehn Prozent Provision, Rickards den Rest.

Freitag ist Auktionsende. Wer das Mauerstück direkt kaufen will, muss beim Sofortkauf 150 000 Dollar hinblättern. Verkäufer Huber findet das gar nicht übertrieben: „In England verkaufte vergangenen Januar ein Hausbesitzer einen ähnlichen Banksy für 270 000 Euro“, sagt er, „allerdings ist der Banksy aus Jamaika qualitativ nicht ganz so hochwertig wie das Werk aus London.“ Aber dafür hängt das Londoner Bild auch noch an der Wand. Der Käufer habe es einfach noch nicht abgeholt, sagt Hausbesitzer Luti Fagbenle.

Im März 2008, zwei Monate später, erzielte ein anderer Banksy bei Sotheby’s 225 822 Euro. Banksy liefert verlässlich Höchstpreise und ist sogar bei Käufern wie Brad Pitt und Angelina Jolie gefragt. Die Kunstwelt reibt sich die Augen, und Hausbesitzer hoffen: Weitere Banksys befinden sich auf einem rostigen Schiff im Hafen von Kingston und in einem Musikstudio. Auch Städte wie Berlin und London sind zugesprayt, wenn auch von weniger bekannten Künstlern.

Für die Verkäufer ist das ein einträgliches Geschäft. Deshalb regt sich Widerstand: Hätten nicht die Künstler Anrecht auf das Geld? „Nein, Peter hat die Wand ja ordentlich gekauft“, sagt Huber, „für ein paar hundert Dollar. Das ist bei einem jamaikanischen Monatsgehalt von 30 Dollar viel Geld.“ Natürlich hatte die Wand für den Barbesitzer einen anderen Wert als für einen Street-Art-Sammler.

Banksy selbst dürfte kein Problem damit haben, er kommentierte den Hype um seine Bilder mal so: „Ich kann nicht glauben, dass ihr Deppen diesen Mist überhaupt kauft.“ Auch das Urheberrecht sieht Huber nicht berührt: Zuerst habe der Künstler eine Straftat begangen. Der Käufer habe das beschädigte Wandstück bloß gekauft. Er sei also legitimer Besitzer, das sei das „Gesetz der Straße“. „Banksy hat nicht damit gerechnet, dass sich jemand an seiner Beute beteiligen könnte.“ Normalerweise jagt die Polizei Graffitikünstler. Jetzt jagen die Sammler sie. Marco Maurer