Süddeutsche Zeitung
Sehnsucht Stehtribüne
Im Februar des Jahres 2000 saß Günter Grass auf der Tribüne des heute umbenannten Dreisamstadions, blickte über den Rand seiner Brille, stieß Pfeifenwölkchen in die Luft und verfolgte das Spiel SC Freiburg gegen Borussia Dortmund. Um den Hals hatte er sich einen Freiburger Fanschal gewickelt, es war die Zeit der öffentlichen Hinwendung oder vielmehr der Rückkehr der Intellektuellen zum Fußball. Der Brite Nick Hornby hatte ein paar Jahre zuvor den postmodernen Fußballklassiker Fever Pitch geschrieben. In diese Zeit fiel auch die Gründung von Elf Freunde. Fanzines fanden damals plötzlich Beachtung, das Sport-Feuilleton war etabliert.
Philipp Köster ist Chefredakteur von Elf Freunde. Er sagt: „Wir waren nicht der einzige Schrittmacher dieses neuen Sportjournalismus.” Immerhin. So viel Distanz hat Köster, der so gerne auch im Fernsehen das Sportfeuilleton verkörpert, dann doch. Schon allein seiner Nostalgie weckenden Optik wegen wurde das Magazin als Ausweis einer Intellektualisierung des Fußballjournalismus gesehen. Den Boden für das Geschäftsmodell hatten allerdings andere bereitet: Qualitätszeitungen, herausragende Reporter und die popkulturelle Bewegung, die den Fußball in ihren Kreis aufnahm.
Von der ersten Elf-Freunde-Nummer wurden 200 Exemplare verkauft. Jetzt, zur 100. Ausgabe, liegt die Auflage nach zehn Jahren bei 63 439 Stück (2009): ein Erfolg, zumal das mittlerweile im Intro-Verlag erscheinende Heft finanzstarke Konkurrenten wie Rund aus dem Olympia-Verlag des Kicker-Sportmagazins vom Markt gedrängt hat.
Es ist auch ein Sieg des Bauchgefühls über die allgegenwärtige Marktforschung im Magazinbetrieb. Denn Elf Freunde zeigt, dass ein Magazin auch ohne Leserumfragen und vorherige Anzeigenmarktprüfung seinen Anfang finden kann. Bis Mitte der Nullerjahre pflegte das Heft dabei einen „Blick aus der Kurve”; der Berliner Amateurklub BFC Victoria 89 war da schon mal wichtiger als der Tabellenführer der Bundesliga. Auch heute gehört der Blick aus der Kurve noch zur Heftphilosophie. In der aktuellen Ausgabe etwa zeigen die Geschichten um Eintracht Braunschweig, einen Greis, der die Fanlager von Rot-Weiss Essen und Schalke 04 entzweit oder ein Interview mit der bulgarischen WM-Ikone von 1994, Christo Stoitschkow, wovon Elf Freunde lebt: einerseits vom Retromoment, andererseits vom charmanten Überbetonen der Belanglosigkeiten des Fußballalltags.
Für diesen besonderen Blick wurden die Elf Freunde immer wieder gelobt und gefeiert. Manchmal wäre es jedoch wünschenswert, dass die Heftmacher die Retroschraube etwas zurückdrehen. Und einen zurückhaltenden Umgang mit dem eigenen Gründungsmythos als „Garagenblattmagazin” an den Tag legen würden – ein Wort, das Köster nach wie vor verwendet. Bereits 2001 gab es Stimmen, die Elf Freunde „das Entree in die saubere, glänzende, große Fußball-Welt” (Tagesspiegel) nicht unbedingt wünschten. Der Schritt ist allerdings längst vollzogen. Elf Freunde ist im inneren Zirkel der Liga angekommen. Das hat die Liga entdeckt. Und die Wirtschaft. So gibt es mittlerweile großflächige redaktionell-publizistische Kooperationen mit Computerspielentwicklern und mit Fluggesellschaften; in der jüngsten Ausgabe wurde so das WM-Quartier der deutschen Nationalelf vorgestellt. Der Beitrag machte den Eindruck, als könne der Leser eine Seite später gleich Hotel, Flug und sein Bier aus der Minibar buchen.
Köster und seine Redaktion haben das Problem erkannt, sagen sie: „Wir haben uns bereits 2002 gefragt: Wollen wir die Gralshüter des Antikommerz sein? Oder wollen wir Platz finden, einerseits als Fan-, andererseits als klassisches Fußballmagazin?” Und genau dieser Platz ist mit dem 100. Heft und der bis zur Fußball-WM 2011 der Frauen quartalsweise erscheinenden Heft-Beilage 11 Freundinnen eingenommen worden; ein Platz, über den Köster sagt: „Ich wünsche mir, dass wir uns nicht zu sehr etablieren.” Es ist – das weiß auch Köster – nach wie vor ein guter Platz, nicht unbedingt immer nur mehr der auf der Stehtribüne, aber nach wie vor einer im Dreisam- und nicht im Badenova-Stadion. Marco Maurer