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Damentoiletten für Hoffenheim

„Unsere Tradition ist die Zukunft“: Ein Dokumentarfilm über den vielleicht unbeliebtesten Fußballklub des Landes

Das Leben ist kein Heimspiel. Das ist ein schöner Satz, aber auch, – richtet man seinen Blick nach München – ein grausamer. Hat doch der FC Bayern gerade erst im Champions-League-Finale im eigenen Stadion leidvoll erfahren müssen, welche Tragödien dieser Fußballsport an manchen Tagen für seine Akteure und Betrachter bereithält. Und zudem auch gezeigt, – das werden die Fans des FC Bayern nicht gerne hören – welche Kraft diesem Sport innewohnen kann.

„Das Leben ist kein Heimspiel“, dieser Satz fällt auch im gleichnamigen Fußball-Dokumentarfilmvon Rouven Rech und Frank Marten Pfeiffer. Doch in der Szene, in der der Hauptakteur ihn ausspricht, wird die eigentliche Bedeutung der Worte mit Füßen getreten. Denn beim Geschäftsführer der TSG Hoffenheim, Jochen A. Rotthaus, dreht er sich nicht um die kleinen und großen Dramen des Fußballs, einen geplatzten Pokaltraum etwa, es geht vielmehr um einen gescheiterten Finanz-Deal, um eine schnöde Sponsoren-Akquise.

In dieser Sequenz, die Rotthaus zusammen mit dem milliardenschweren SAP-Mitgründer und Geldgeber des Klubs, Dietmar Hopp, auch beim Golfen zeigt, fallen auch die Worte „Challenge“, „Kalkulation“ und „Outperformer“. Spätestens dann wird klar, weswegen die TSG, trotz der vielen FC-Bayern-Neider, nach wie vor – und das nicht nur unter radikalen Fußballromantikern – der vielleicht unbeliebteste Fußballklub Deutschlands ist. Denn der ist eben ein rasant hochgezüchteter Verein, einer der am Reißbrett entworfen wurde, einem von dem sein Mäzen, Hopp, selbst einmal sagte: „Unsere Tradition ist die Zukunft.“

Der preisgekrönte Dokumentarfilm liefert einen Einblick in die Realisierung dieses „Projekts“ (Rotthaus) und begleitet den Aufstieg dieses Klubs zwischen den Jahren 2007 (Regionalliga) und 2010 (Tabellenführer in der Bundesliga). Man muss wahrscheinlich nicht einmal Fußballfan sein, um das ziemlich spannend zu finden.

Dabei verzichten die zwei Macher auf jegliche Art von Kommentierung des Geschehens, der Film gibt sich vordergründig unparteiisch. Doch die gezeigten Bilder sprechen für sich. Etwa, wenn der Marketingfachmann Rotthaus mit den Mitteln der Betriebswirtschaftslehre versucht, in erster Linie Kunden und nicht Fans anzuwerben.

So beobachtet ihn die Doku, wie er in den Anfangsjahren durch badische Vereinsheime tingelt, um skeptisch blickende Menschen für einen Stadionbesuch bei der TSG zu begeistern („Wir haben die doppelte Anzahl an Damentoiletten!“). In diesem Vereinsheim bemerkt einer dieser Zuhörer: „Die TSG lebt bisher nicht!“, um dann Rotthaus zu fragen, wie er denn eine Euphorie um den Verein generieren wolle.

Die Antwort gibt die TSG selbst, die teuer zusammengekaufte Mannschaft lockt ihre Kunden mit Erfolgen, wird dabei vom bedeutungslosen Dorf- zum populären Eventklub, ihr Publikum wandelt sich vom Bier- zum Bussi-Bussi-Publikum (Johann Lafer und so). So muss etwa Torro, der Gründer des ersten Hoffenheim-Fanklubs – einer dieser Fußball-Romantiker – tatenlos zusehen, wie ihm sein Verein entgleitet, er ihm fremd wird, er sogar vom neuen Kundenstamm angefeindet wird. Dennoch kann sich Torro seinem Verein – da ist sie also auch in Hoffenheim, die Kraft des Fußballs – nicht entziehen. Doch insgeheim wünscht man Torro, sein Herz wäre doch einem anderen Fußballklub verfallen, einem wie dem 1. FC Köln oder Hertha BSC Berlin. Somit ist der Film indirekt auch eine Ode für Fans dieser Vereine, in denen das Leben wirklich nicht immer ein Heimspiel ist. Marco Maurer