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FC Arbeitslos

In Duisburg halten sich 70 Fußballprofis fit, die auf der Suche nach einem Verein sind

Stille. Nur von hinten rechts im Raum, von der Sofaecke, ist ein wenig Murmeln zu hören. Eben hat Christian Schmeckmann gefragt: „Wer von Ihnen hätte vor einem Jahr gedacht, dass er heute hier sitzen würde?“ Seit fünf Jahren – solange kommt er bereits in die Sportschule Wedau in Duisburg – erntet Schmeckmann Schweigen auf seine Frage. Die rund zwanzig jungen Männer vor ihm schauen auf ihre Fingernägel oder ihre Schuhe. Oder ins Leere.

Zwölf Uhr dreißig, das erste Training ist vorbei. Vor Christian Schmeckmann vom Versorgungswerk der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sitzen Fußballprofis, ehemalige Spieler aus der Bundesliga, der zweiten oder der dritten Liga. Eines haben sie gemeinsam: Sie sind arbeitslos. Hier in Duisburg, in der Sportschule mit dem Jugendherbergs-Charme, verwenden sie dafür ein anderes Wort: vereinslos.

Kioyo ist schon wieder zurück

Rund 2500 Berufsfußballer spielen in Deutschland, 200 bis 300 stehen jedes Jahr ohne Klub da. 70 davon halten sich im VDV-Camp in der Sportschule Wedau fit und wollen sich für neue Vereine empfehlen. Wegen Platzmangels können aber nur rund 25 Profis pro Woche trainieren. Seit 2003 gibt es das Camp, und der Geschäftsführer der VDV, Ulf Baranowsky, sagt, pro Jahr vermittle man 70 bis 80 Prozent der Spieler an neue Klubs. In den letzten Jahren fanden Spieler wie Stefan Wessels, Thomas Cichon, Filip Tapalovic oder Roland Benschneider einen neuen Verein.

Als Francis Kioyo, dessen verschossener Elfmeter in der Saison 2003/2004 zur Zweitklassigkeit 1860 Münchens führte, sich kürzlich nach Schottland aufmachte, wo er einen Klub gefunden hatte, blieb sein Spind im Keller der Sportschule nicht lange leer. Säuberlich gefaltet lag da bald das Trikot seines Nachfolgers: Nicht wie früher das Logo des VfL Bochum oder das von Borussia Dortmund ziert nun Delron Buckleys Brust, sondern das des VDV-Teams, früher spöttisch „FC Arbeitslos“ genannt. Buckley, 201 Bundesligaspiele, zweimaliger WM-Teilnehmer für Südafrika, wechselte von Mainz 05 nach Zypern zum Champions-League-Teilnehmer von 2008, Famagusta.

Der Verein war zufrieden mit ihm und bot ihm einen Zweijahres-Vertrag an. Buckley lehnte ab. Er wollte zurück zur Familie, die er während seiner Zeit auf Zypern „höchstens sechs Wochen“ gesehen hatte. Wie Buckley haben alle Fußballer im VDV-Camp ihre Gründe, weswegen sie keinen Verein haben: Karriereknicks, auslaufende Verträge, Vereins-Insolvenzen, Verletzungen, das Alter. Delron Buckley ist 32 Jahre alt, er traut sich noch drei Jahre „auf höchstem Niveau“ zu. Jetzt sucht er einen Klub in Deutschland, am besten in Nordrhein-Westfalen, nahe seinem Haus in Bochum, das er seit mehr als 15 Jahren besitzt. Gesucht: ein Verein der ersten, zweiten, „vielleicht dritten“ Liga.

Im Mai kam Buckley zurück aus Zypern. Als ehemaliger Bundesligaspieler, dachte er sich, sollte es ein Leichtes sein, einen Verein zu finden. Jetzt sagt er, nach ein paar Gesprächen mit Klubs, nach Wochen des Wartens und einsamen Waldläufen: „Ich habe es mir einfacher vorgestellt.“ Sein ehemaliger Arbeitgeber, der VfL Bochum, wollte ihn nicht einmal mittrainieren lassen.

Die vergangenen Wochen nagen an Buckley. Nach dem einsamen Training erledigte er den Haushalt, er hat Dinge repariert, die jahrelang unrepariert blieben. „Ich kam in eine Situation, die ich nicht kannte“, sagt er. Im Camp habe er nun „endlich wieder einen Rhythmus gefunden, eine Struktur“.

Weil alle Spieler in Duisburg auf einen neuen Klub hoffen, rufen sie zwischen den Trainingseinheiten ihre E-Mails ab. Irgendein Spieler steht immer vor der Sportschule und spricht in sein Handy, Profis kommen an oder reisen ab, zum nächsten Probetraining. Francis Kioyo ist schon wieder zurück aus Schottland. Er kam in einem Testspiel zum Einsatz, das Spiel ging verloren, im Elfmeterschießen; Francis Kioyo erhielt keinen Vertrag. Nach seiner Rückkehr schoss er das 1:0 für das VDV-Team gegen Fortuna Sachsenross.

Meldet sich bei Buckley nicht bald ein Verein, will er Arbeitslosengeld beantragen. Das sei ihm zwar peinlich, aber er habe ja immer gut in die Kasse eingezahlt. Christian Hock, einer der vier vereinslosen Trainer des Camps, hat den Gang zur Agentur bereits hinter sich. Hock war auch im vergangenen Jahr Trainer im Camp. Dann verpflichtete ihn Rot-Weiß Ahlen, doch nach dem Abstieg in die dritte Liga wurde ihm gekündigt. Hock sagt: „Je näher der Start in den Profiligen rückt, desto schlechter ist die Stimmung in der Mannschaft.“

Die Frage nach Plan B

Am miesesten ist die Laune im September, wenn das Camp endet. Viele Spieler, sagt Christian Schmeckmann vom Versorgungswerk, seien blauäugig. Gerade Fußballern der zweiten, dritten oder vierten Liga droht nach der Karriere häufig Hartz IV. Um dem entgegenzuwirken, hat Schmeckmann seit Jahren eine weitere Frage in seinem Repertoire: „Wer von Ihnen hat einen Plan B nach der Fußballerkarriere?“ Wieder Schweigen im Klassenzimmer in Duisburg. Ein Profi, ehemals zweite Liga, liest versunken in einer Sportzeitschrift, am Ende melden sich drei der rund 20 Fußballer. Einer davon ist Delron Buckley. Er hat, trotz der Einkünfte aus mehreren Jahren Bundesliga, einen Plan B: das Kindermodengeschäft seiner Frau in Bochum. Dort will er gerne einsteigen, falls das nichts mehr wird in „seinem Leben“; er meint in seinem Fußballer- leben. Marco Maurer