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Größer als die Angst

Mehmet Kurtulus hatte als „Tatort“-Kommissar einen guten Job. Er wollte mehr, riskierte alles, zog nach Los Angeles. Jetzt spielt er in einem Actionfilm den Gegner von Samuel L. Jackson. Eine Begegnung

Die letzte Nachricht, die von Mehmet Kurtulus nach seinem Abschied als Tatort -Kommissar verlautbarte, war, dass er sich auf „seine internationale Karriere“ konzentrieren möchte. Fast zwei Jahre ist das her. Es gab somit nicht wenige, die glaubten, dass er den wohlbekannten Part zahlreicher deutscher Schauspieler einnehmen werde, die das vor Kurtulus versuchten: reumütig zurückzukehren; vielleicht im ZDF-Vorabendprogramm.

Doch dann haut Mehmet Kurtulus an diesem Spätnachmittag auf dem Set der Bavaria-Film-Studios in München ausgerechnet dem US-Präsidenten deftig in die, Verzeihung, Fresse. Dieser wird von keinem Geringeren als Samuel L. Jackson gespielt, und zwei um ihr Porzellangut aus Hollywood besorgte Setassistenten rufen: „Mehmet, lass ihn leben!“ Kurtulus spielt im 2014 startenden Kinofilm Big Game nicht einmal einen kleinen Schurken. Nein, er ist der Widerpart Jacksons – Hazar, eloquenter Sprössling eines jordanischen Königshauses, der auf die Jagd nach dem mächtigsten Mann der Welt geht.

Diesen neun Millionen teuren Dreh könnte man durchaus als den Anfang einer internationalen Karriere bezeichnen. „Das ist das Größte, was ich je gemacht habe“, sagt Kurtulus nach der Aufnahme, während er – abgeschminkt, aber etwas abgekämpft von elf Stunden Arbeit – in ein Taxi steigt und sich mit dem Taxifahrer darauf einigt, einen Klassiksender abzuspielen. „Mögen Sie Klassik?“, fragt er ihn. Der Mann erwidert, Klassik sei seine erste Wahl. „Ausgezeichnet“, antwortet Kurtulus und erzählt, dass er jeden Morgen Konzertmusik höre, um seinen Geist zu justieren. Der Fahrer schmunzelt.

Kurtulus, in Jeans und knallroten Sneakers, ist ein einnehmender Typ. Gleich zur Begrüßung hat er im Hamburger Slang gefragt, ob man eine Zigarette von ihm wolle. Doch Kurtulus ist auch ein knorriger Charakter, der, ohne explizit danach gefragt zu werden, einen gut fünfminütigen Monolog startet über Bildung und den Zusammenhang mit Menschen, die laut Kurtulus Glauben „missbrauchen“ – er meint Dschihadisten. Der Taxifahrer fährt durch die Münchner Nacht, hört genau zu, und man wähnt sich einen Moment lang in der Fortsetzung von Jim Jarmuschs Night on Earth.

Die Szene passt zu Cenk Batu – der bislang letzten Rolle von Kurtulus im deutschen Fernsehen. Batu war der „erste Türke im deutschen Tatort“ ( Bild ), aber vor allem ein verdeckter Ermittler, der sich wortkarg in jeder Folge in ein anderes Milieu einschleuste, weswegen er von Kritikern geliebt worden ist, aber das eher bräsige Tatort -Publikum überforderte. „Cenk Batu war ein Borderliner“, sagt Kurtulus, einer, der am Ende der sechs Folgen für seine Liebe in den Tod ging.

Batus Charakter entwickelte Kurtulus einst mit. „Ich wollte ein anderes Bild mit unserem Tatort zeichnen“, erinnert er sich, was auch im Sinne des ARD-Programmchefs Volker Herres gewesen sein soll. Dass im vorigen Jahr Kurtulus dann durch den Kokowääh -Kriminalisten Til Schweiger ersetzt worden ist, lag nicht an einer eher unterdurchschnittlichen Quote von etwa sechs Millionen Zuschauern, sondern daran, dass Kurtulus 2011 – bevor der Name Schweiger im Gespräch war – ein Angebot auf weitere sechs Folgen ausschlug.

Mittlerweile – die Taxifahrt ist zu Ende – nippt Kurtulus in einem Münchner Restaurant im Schlachthofviertel an einem Bier und spricht dabei von den Tatumständen seiner Entscheidung: „Wovor ich mich fürchte, ist Einfältigkeit – ich liebe die Vielfalt.“ Natürlich hätte er den Tatort noch Jahre weitermachen können, aber er habe sich an der Schwelle zum vierzigsten Geburtstag gefragt: „Mehmet, was willst du vom Leben?“ Eine kleine Gesprächspause entsteht, dann gibt er selbst die Antwort: „Ich muss keinen Porsche fahren, ich möchte weiterkommen, inneren Reichtum erreichen, Erfahrungen machen.“ Dann verweist er auf seine bisherige Filmografie: „Ich habe in 15 Jahren etwa 20 Filme gedreht – das ist sehr übersichtlich.“ Stolz ist in dem Satz, aber keine Prahlerei. Und er zeigt: der Mann arbeitet an einem Lebensweg, dessen Ausgang ungewiss ist, aber der bisher stetig nach oben zeigte.

Kurtulus, inzwischen 41, kam aus der Arbeiterstadt Salzgitter im damaligen Zonenrandgebiet heraus, weil er erst in seinem Vater, einem türkischen Lehrer, einen Förderer und in der Theater-AG seines Gymnasiums ein anderes Milieu entdeckte. Mit 19 ging er nach Hamburg, dort förderte ihn durch einen Zufall Evelyn Hamann, später ist Kurtulus ein wichtiger Akteur für Fatih Akin geworden. Hernach kam der NDR, jetzt klopfte ein Jungregisseur bei ihm an, der sich gerade in Hollywood etabliert – der Finne Jalmari Helander. „Ich hatte das Glück, mit jedem Projekt einen Schritt nach vorne zu machen – daran glaube ich nun auch mit Big Game “, sagt Kurtulus.

Er zog wieder aus, verlagerte seinen Wohnsitz endgültig nach Los Angeles, nahm sich einen amerikanischen Agenten und machte eine Drehpause, war zugleich aber nicht untätig. „Ich suche keine Sicherheit, weil Sicherheit auch betäubt“, sagt er dann, und irgendwie muss man an dieser Stelle an eine dieser Fatih-Akin-Figuren denken, die immer mit dem und gegen das Schicksal gleichzeitig kämpfen. Er nahm Unterricht an der bekannten Sanford-Meisner-Schauspielschule. Annektierte Dinge, die ihm gefielen, lehnte andere ab; schaute, wie US-Schauspieler miteinander umgehen, sozialisierte sich, knüpfte Netzwerke. Nach Deutschland zurück blickte er nur ab und an, vielleicht wenn es um seine Frau Desirée Nosbusch und Dieter Zetsche ging. Viel will Kurtulus dazu nicht sagen. Man einigt sich mit ihm darauf, dass es in seiner Ehe mit Nosbusch traut zugehe, er weiterhin mit ihr und den Kindern im gemeinsamen Haus wohne.

Auch insgesamt ist Kurtulus keiner, in dem das Boris-Becker-Gen und die Gier nach Aufmerksamkeit schlummern. Er erwidert, er spreche nur, wenn er etwas zu sagen habe – etwa zu seinem Film. „Ich bin heilfroh, dass Jalmari keine klischeehaften Bilder eines Bösewichts im Kopf hat, sondern einen Widerpart mit Manieren entwickelte.“ Kurtulus spielt keinen Holzschnitt-Terroristen, sondern einen in einer Elite-Universität in Großbritannien ausgebildeten Araber aus gutem Haus – feiner Zwirn und britisches Englisch inklusive. „Wir leben im Jahr 2013. Wir haben hier nicht nur die Gelegenheit, sondern auch die Verantwortung, andere Bilder zu zeigen – ähnlich wie damals bereits mit unserem Tatort “, sagt Kurtulus.

Und dann spricht er über Hans Landa, den feingliedrigen Nazi aus Tarantinos Inglourious Basterds , gespielt von Christoph Waltz. Dieser „hat nicht einen Nazi gespielt, sondern einen Menschen, der ein Nazi war – Hans Landa“. Kurtulus weiß um die Fallhöhe dieses Satzes, Boulevardjournalisten, die er nicht leiden kann, würden schreiben: „Ex- Tatort -Kommissar Kurtulus träumt von Oscar“. Was Kurtulus eigentlich sagen will, ist: Waltz’ Weg, Rollen zu interpretieren, ist für ihn zu einer Richtschnur geworden.

Kurtulus raucht auf dem Weg zu seinem Hotel eine weitere Zigarette. Auf die Frage, woher er immer wieder den Mut fasst, große Kurswechsel einzuleiten, antwortet er: „Ich habe als Mensch ein Urvertrauen, weil ich als Kind gespürt habe, dass ich von meinen Eltern geliebt werde. Deswegen konnte ich auch mit der Entscheidung gut leben, einen phantastischen Tatort -Vertrag abzulehnen und damit keinen Job zu haben – und trotzdem optimistisch in die Zukunft schauen.“ Danach schweigt er. Neugierige Augen blicken einen aber an und sie besagen: Existenzängste? Fehlanzeige! Sicherheitsdenken? Kann mich mal! Risiko? Gerne, Digger! Marco Maurer