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Ingeborg-Bachmann-Pop

Die Band Die Heiterkeit hat viele musikalische Vorbilder. Aber ihr größter Einfluss ist die Lyrik der Liebe.

Während die Schlichtheit einer Band namens AnnenMayKantereit überall zum Maßstab aller Dinge erhoben wird, werden wesentlich spannendere und musikalisch komplexere Künstler zu Unrecht vernachlässigt. Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut und die bekommen am Ende immer angehende „ZDF-Fernsehgarten“-Bands. In diese Welt wird die 2010 in Hamburg gegründete Gruppe Die Heiterkeit zum Glück nie vorstoßen. Entgegen ihrem alles umarmenden Namen sind Sound und Haltung für die Hitradioprogramme dieses Landes nämlich viel zu sperrig und düster.
„Da, wo ich wohne, ist es immer kalt, kalt, kalt. / Hier kommt die Kälte“ , erzählt die Sängerin der vierköpfigen Truppe, Stella Sommer, mehr, als dass sie singt als wollte sie dem vom Namen und Cover hervorgerufenen Verdacht der Anschmiegsamkeit gleich am Albumanfang widersprechen. Und doch verleiht ein Mädchenchor der Melodie von „Die Kälte“ eine fast sakrale Anmut.
Kurze Zeit später Stella Sommer singt derweil warm und weich: „Betrüge mich gut“ fragt man sich: Was hört man da eigentlich? Und was zum Teufel hat Sommer alles in sich aufgesogen? Bei Hildegard Knef hat sie womöglich mal reingehört, das „Weiße Album“ von Tocotronic könnte Teil ihrer musikalischen Sozialisation sein, und Soap&Skin eignet sich wunderbar als heimliche Heldin. Aber über allem dürfte die lyrische Kraft der wohl wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellerin stehen: Ingeborg Bachmann.
„Erklär mir, Liebe“, schrieb die Klagenfurterin einst. „Im Zwiespalt find ich’s angenehm / Distanz als Form von Nähe / die Blumen, die ich säe“ , heißt es bei Die Heiterkeit über einen Menschen, den man mal liebte und heute nicht mehr erträgt. Dieses neue deutsche Liedgut ist eher Dichtkunst als Musik herrlicher, stoischer Pop. Die Heiterkeit kann aber auch zugewandter sein: „Doch Baby Baby, schick es nach Panama City“ eine Zeile, die genauso gut von Freddy Quinn stammen könnte wird an popkulturell relevanten Orten jetzt wohl öfter zu hören sein. Das Album endet mit einem Männerchor. „Haben die Kids es nicht einfach geliebt, geliebt, geliebt“, singt dieser Chor, bestehend aus Drangsal und Die Türen, und man ahnt: Dabei handelt es sich um nicht weniger als eine Verneigung. Marco Maurer