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Eine HBO-Serie erzählt, wie die Menschen in New Orleans nach dem Hurrikan nicht nur ihre Stadt, sondern auch sich selbst wieder aufbauen

Mit Schicksalsschlägen geht jeder ein wenig anders um, es gibt die Flucht nach Innen und die nach Außen. In der US-Serie Treme (gesprochen: Tre-mäy) sieht man Menschen, die weinen, lachen, schreien, saufen, hadern, oder eben Menschen, die tief in sich versunken sind. Was alle Charaktere verbindet, ist die Musik. Aus ihr ziehen sie Kraft, drei Monate nachdem der Hurrikan Katrina über ihre Stadt, ihre Häuser, ihr Leben gerichtet hat.

„It sounds like rebirth“, sagt jemand in einer Szene, und die Bewohner des Treme-Viertels, des schwarzen Herzens von New Orleans, benötigen viele dieser Momente, um ihr Leben wieder geradzurücken. Momente, die auch in der Realität stattgefunden haben, was dem Film neben dem Spiel mit Schärfe und Unschärfe, einen mindestens halbdokumentarischen Eindruck verleiht. Etwa, als die echte Rebirth Brass Band mit ihren Trompeten und Tubas tanzend durch die zerfledderten und zerstaubten Straßen zieht und mit ihren durch die Rolling Stones bekannt gewordenen Zeilen „I used to love her, but it’s all over now“ zwar wörtlich die Kapitulation eingesteht, aber mit dem Brass-Sound auch sagt: Mir egal, ich liebe dich trotzdem. Oder, in diesem Kontext so etwas wie: New Orleans, du wirst wieder blühen.

Erdacht wurde die Serie von David Simon, dem ehemaligen Lokalreporter, der mit The Wire einer der größten Fernseherzähler unserer Zeit wurde – und Treme macht es einem zu Anfang nicht leicht. Es werden lediglich Versatzstücke aneinandergereiht, die sich erst, wie bei vielen großen amerikanischen Serien, nach und nach, von Episode zu Episode, zusammenfügen.

So wie sich der Jazz in New Orleans an manchen Orten, in improvisierten Bars oder Clubs, von Generation zu Generation erneuert, um zu überleben, sieht man den Figuren der Serie zu, wie sie ihr Leben neu ausrichten müssen. Die Restaurantbesitzerin Janette Desautel etwa, die versucht ihre Küche auch ohne funktionierende Gasleitungen am Laufen zu erhalten. Oder der Posaunist Antoine Batiste (grandios gespielt von Wendell Pierce, der in The Wire den Polizisten Bunk Moreland gibt), der sich nach Katrina mehr denn je die Frage stellen muss, ob er von seiner Musik leben kann und will.

Die Anwältin Toni Bernette und ihr Mann, der Englischprofessor Creighton (wunderbar: John Goodman), kämpfen nicht nur mit leidenschaftlichen Kraftausdrücken („Fuck you, you fucking fucks!“) sondern auch mit Geschick gegen eine zynische, sich nicht kümmernde Obrigkeit, was erneut eine Querverbindung zu Simons Opus Magnum The Wire herstellt.

Aber der lauteste und auch vielschichtigste Charakter der Serie ist weder Goodman noch der stets fluchende Radio-DJ Davis McAlary (Steve Zahn). Es ist die Musik. Denn nur mit ihr öffnet sich wie in der Realität das Geflecht der Straßen von New Orleans. So ist die Anekdote überliefert, dass Simon die HBO-Verantwortlichen bat, nicht nur das Script zu lesen, sondern auch eine CD anzuhören, die er dem Werk beilegte. Die Zeilen hatten einen Soundtrack.

Schließlich nahmen die HBO-Verantwortlichen das Drama ins Programm – oder wie Richard Plepler, HBO-Vize-Präsident, sagt: „Wie kann man zu so etwas ,Nein’ sagen?“ Der Bezahlsender Sky Atlantic HD zeigt die Serie nun in Deutschland. In den USA wird im September die dritte Staffel anlaufen, eine vierte ist geplant.

In einer Szene wird die ganze Eleganz der Serie deutlich. Radio-DJ Davis spielt Louis Primas Gassenhauer „Buona Sera“, die ganze Stadt lauscht, verarbeitet, sogar der ansonsten cholerische DJ beginnt zu lachen, zu tanzen und die Musik holt dabei drei Minuten lang unkommentiert das an die Oberfläche, was nicht nur in New Orleans offensichtlich ist: „Life’s a gig.“ Marco Maurer