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Auf die rechte Tour

Sie sprechen nicht mit der "Lügenpresse", sondern hetzen in Internetforen. Wer also sind die neuen Rechten wirklich? Was passiert, wenn man eine Woche auf engstem Raum mit ihnen verbringt? Ein NEON-Reporter verreiste mit den Lesern von "PI-News", Deutschlands einflussreichster rechter Website. Ausgerechnet nach Israel

Mit unterdrückter Nummer beginnt die Reise in eine Parallelwelt. Eine kräftige Stimme mit hanseatischer Färbung meldet sich und sagt: „Guten Abend, ich bin Mr. Merkava von der ‚PI-News‘-Leserreise.“
PI steht für Politically Incorrect, das rechtsgerichtete Blog gehört mit 100 000 Lesern pro Tag zu den einflussreichsten in Deutschland. Es gilt als Pegida-Leitmedium. Ab und zu besuche ich die Seite, um zu sehen, wie die Rechte denkt, und entdeckte dabei, dass eine Reise für die Leser nach Israel beworben wurde. Und wie kann man besser verstehen, wie die Rechte denkt, als wenn man mit ihr in das Land reist, an dem sich so heftige politische Debatten entzünden wie sonst kaum auf der Welt?

Das Programm bot einen Vorgeschmack: Man wolle sehen, ob es das „‚Aushungern‘ des Gazastreifens durch Israel wirklich gibt“. Außerdem: „Das moderne Israel, Politik, Armee, Gesellschaft und Fun an den Hotspots“, wozu auch ein Schieß- und Häuserkampf-Training mit den Israeli Defense Forces gehören soll. Ich meldete mich beim Organisator, es folgte ein reger Mail-Austausch mit Mr. Merkava. Der PI-Autor nennt sich nach einem israelischen Kampfpanzer, und in seinen Mails verabschiedet er sich stets „mit zionistischen Grüßen“.
Am Telefon will er nun prüfen, ob ich ein gesinnungstreuer Leser oder, wie er es nennt, ein Troll bin. Offenbar bestehe ich den Test, denn zum Schluss sagt er: „Eine Gruppe wie uns gab es noch nie. Sie ist ein tolles Gemisch, PI eben.“ Er selbst habe die Reise konzipiert, sie habe „die komplette Note“ von ihm.

Ich überweise 1.783 Euro und bin offizieller Teilnehmer der „PI-News“-Leserreise.
Auf der Reise will ich herausfinden, was für Menschen hinter den oft anonymen Stimmen im Netz stehen. Was für ein Leben führen sie? Pöbeln sie bei Tageslicht ebenso wie im Verborgenen? Sind sie Rassisten? Antisemiten? Oder vielleicht doch harmloser als gedacht?

PI beschreibt sich als Website für „News gegen den Mainstream und die Islamisierung Europas“. Besonders radikal auftretende Ortsgruppen werden vom Verfassungsschutz beobachtet, es gibt enge Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen wie Pro NRW. Die Autoren wettern gegen Muslime sowie Politiker und Journalisten des „Mainstreams“. Auf Demonstrationen schieben Pegida-Anhänger Reportern die Kameras weg. Diese Menschen verweigern uns Antworten. Es sei denn, man ist einer von ihnen.

PI beschreibt sich als Website für „News gegen den Mainstream und die Islamisierung Europas“. Besonders radikal auftretende Ortsgruppen werden vom Verfassungsschutz beobachtet, es gibt enge Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen wie Pro NRW. Die Autoren wettern gegen Muslime sowie Politiker und Journalisten des „Mainstreams“. Auf Demonstrationen schieben Pegida-Anhänger Reportern die Kameras weg. Diese Menschen verweigern uns Antworten. Es sei denn, man ist einer von ihnen.

Sollte ich auffliegen, könnte es gefährlich werden, denn ich reise mutmaßlich mit dem extremen Teil des Blogs, mit den Lesern. Ihre Kommentare sind oft radikaler als die Beiträge selbst, sie gelten als das „propagandistische Herzstück des Blogs“, wie eine Journalistin auf der Grundlage von Untersuchungen des Zentrums für Antisemitismusforschung schrieb. Einige Politiker und Journalisten, die in Beiträgen auf PI kritisiert wurden, schildern, Morddrohungen von Lesern erhalten zu haben.

ANKUNFT, TAG EINS

Tel Aviv, Flughafen Ben Gurion, Treffpunkt der 18 Teilnehmer ist die Buchhandlung Steimatzky. Ich gehe auf eine Frau zu, die ein Schild in der Hand hält, „Israel Leserreise“. Sie ist Israelin, um die 50, hat blondes Haar und stellt sich als Leah* vor. Ihre Eltern wurden aus Deutschland vertrieben, als sie ein Kind war, einer ihrer Großväter starb im KZ Buchenwald. Sie ist in den nächsten Tagen unsere Reiseleiterin.
Warum führt die Reise eines rechtsgerichteten Blogs ausgerechnet nach Israel?
Eine erste Antwort bekomme ich, als ein kleiner Mann zu uns stößt, schwarzes Shirt, Südamerika-Hut auf dem Kopf, Wildledertasche, AfD-Pin. Fabian dürfte Anfang 40 sein, ist aus dem Saarland, lebt nun in Zürich und sagt über die Reise: „Ich möchte mich mit Menschen meiner Gesinnung austauschen – und vor allem reizt mich der Häuserkampf. Was wir dort lernen, können wir gegen die Invasionäre in unserer Heimat einsetzen.“

Invasoren, Invasionäre, Eindringlinge, Barbaren – so also nennen Teilnehmer der Reise Muslime. Sie sehen in Israel ein Vorbild, weil der Staat sich im Dauerkonflikt mit seinen muslimischen Nachbarländern befindet. Die vom Zentralrat der Juden herausgegebene „Jüdische Allgemeine“ schreibt, PI sehe Israel „als eine Art Außenposten im Kampf gegen die von ihnen halluzinierte muslimische Weltverschwörung“.

Als Fabian fragt, warum ich hier sei, passe ich meine Antwort an dieses Weltbild an. Das fühlt sich seltsam an, muss aber sein: Um nicht enttarnt zu werden, nicke ich, bestätige die Teilnehmer oft in ihren Aussagen, benutze auch zweimal selbst den Ausdruck „Invasoren“.
Unsere Reiseleiterin Leah wird offenbar über die Gesinnung der Gruppe im Unklaren gelassen. Noch am Flughafen sagt sie, sie verstehe, warum der Organisator sich den fiktiven Namen Merkava zugelegt habe: „Wenn man so stark links ist, muss man vorsichtig sein.“ Fabian schaut mich irritiert an, kann ihre Worte nicht deuten. Bevor Leah auf die Toilette verschwindet, drückt sie mir das Leserreise-Schild in die Hand, im Namen von PI begrüße ich die weiteren Teilnehmer.

Zwei Stunden später, sechster Stock, Hotel Gilgal im Zentrum Tel Avivs, wir sitzen in einem Halbkreis. Rainer Merkava ist grau gelockt, er trägt eine Postkarte mit einem Panzer in 3D-Optik um den Hals. Wie ich später herausfinde, war er in der islamfeindlichen Partei Die Freiheit aktiv. Über 30 Mal sei er bereits in Israel gewesen, „es ist mein Land“. Er arbeite als Qualitätsmanager in der Luftfahrt, sagt er.
In seine Sprache mischt sich Management-Vokabular, er spricht von „Debriefing“ und „Elevator-Pitch“: Die Teilnehmer sollen sich selbst vorstellen, in der Kürze einer Liftfahrt:

Petra, Jahrgang 1966, in Ostdeutschland aufgewachsen, nennt sich im PI-Userbereich „Hatikva“, hebräisch für Hoffnung. Sie ist Seelsorgerin und im Führungszirkel der Partei Die Freiheit.

Bernhard, 71 Jahre alt, aus Köln, war lange Zeit Vorstand eines Pharmaunternehmens, trägt Ralph-Lauren-Poloshirts.

Werner, Jahrgang 1943, lebt in Frankfurt, Unternehmensberater und befreundet mit Bernhard. Als Persönlichkeit des Wirtschaftslebens war er Mitglied der Bundesversammlung, die den Bundespräsidenten wählt.

Matilda, etwa Mitte 50, lange Zeit Landwirtin am Bodensee, nun im Ruhestand.

Fabian besucht Pegida-Kundgebungen, so oft es geht, fährt dafür auch an einem Tag von Zürich nach Dresden und zurück, hält sich dann mit Mate wach.

Karl, 83 Jahre, promovierter Maschinenbau-Ingenieur, stört sich vor allem an der „Klimalüge“ der etablierten Parteien.

Udo, 55 Jahre, Programmierer, Glatze, Stiernacken, kandidierte 2014 für die AfD für den sächsischen Landtag, Vorstandsmitglied AfD-Vogtland.

Jörg Henke, geboren 1961, AfD-Landtagsabgeordneter in Thüringen, war mit der OECD in Syrien und der Ukraine und ist dort zu dem Schluss gekommen, dass Journalisten nicht die Wahrheit berichten.

Ansonsten: ein Lokalpresse-Fotograf. Ein Paar, er Psychologe, sie ehemalige Lehrerin, beide AfD-Kreisvorsitzende in Süddeutschland. Ein Bamberger Buchhändler, Altachtundsechziger und AfD-Mitglied. Eine Standesbeamtin aus der Nähe Aschaffenburgs. Ein bibeltreuer Rechtsanwalt aus Chemnitz. Eine Dolmetscherin und ihr Sohn, beide stramme Pegidisten aus dem sächsischen Frankenwald. Ein schweigsamer Teilnehmer aus Chemnitz, selbstständig, bibeltreu.
Wir laufen am Strand von Tel Aviv entlang zum Lokal Mike’s Place. 2003 nahm ein Selbstmordattentäter hier drei Menschen mit in den Tod. Als der Pächter davon erzählt, sagt Matilda im Singsang des Bodenseeraums: „Das ist nichts Besonderes, bei uns haben wir auch viele Anschläge.“ Wir trinken Bier und essen Burger. Die Teilnehmer tauschen aus, wie häufig sie zu Pegida-Kundgebungen fahren (sehr häufig) und wie man sich da verhält (unauffällig).

Matilda besorgt sich vor einer Demo immer einen Mietwagen, sonst würde ihr Auto demoliert. „Seit ich von der Antifa verschlagen wurde, bin ich vorsichtig.“ Mr. Merkava erzählt, dass seine Eltern Diplomaten in Kairo waren, er daher wisse, warum er Muslime ablehnt. „Sie sind allesamt frauenfeindlich, gewalttätig und korrupt.“ Matilda stimmt zu. Ihre Schwester sei Lehrerin, die werde von den Schülern gefragt, ob sie denn „heute schon in den Arsch gefickt worden“ sei. „Aber so was wird von den Schulbehörden und Medienhuren verschwiegen.“ Einen Nutzen hätten die aber, sie nutze das Forum der „Zeit“ zum Einschlafen. PI dagegen als Ventil, sonst würde sie ersticken. „Wir müssten zurückschlagen“, sagt Fabian. – „Haben wir doch in Clausnitz und Plauen gemacht. Aber immer haben die Hetzer geschrieben, wir hätten angefangen“, antwortet der AfD-Mann Udo. „Ich weiß das, ich wohne 15 Kilometer von Plauen entfernt – dem braunen Deutschland.“ Die Zuhörer nicken anerkennend, als erzählte er nicht von rassistischen Vorfällen im Osten Deutschlands, sondern als sei er im Schloss Bellevue aufgewachsen.

„Wir können nicht zurückschlagen, sonst schließt uns die Mehrheitsgesellschaft aus“, erwidert Fabian. Wenn publik würde, wie er denkt, müsse er sich um seinen Job sorgen. Wie viele andere der Gruppe, führt Fabian ein Doppelleben. Matilda ist als Vorsitzende in einem Verein aktiv, der sich um Patenkinder im Senegal kümmert. Ihre wahre Gesinnung dürfte sie dort verschweigen. Und Merkavas Gedanken passen gewiss nicht zum Code of Conduct seines internationalen Arbeitgebers.
Manche aus der Gruppe verschleiern ihre Identität, indem sie ausländische Prepaid-Karten nutzen. In sozialen Netzwerken muss man sich oft mit einer mobilen Nummer verifizieren. Wenn sie im Netz gegen Muslime hetzen, können sie so nicht von der Polizei verfolgt werden. „Perfekte Tools“, sagen sie.

TAG ZWEI

Beim Frühstück unterhalten sich Werner und Bernhard, der Unternehmensberater und der ehemalige Pharmavorstand, über den Fernsehabend. „Ich hab mir die Bambi-Verleihung angesehen – lauter Flüchtlingsmenschen, grausam!“, schimpft Werner. „Jogi Löw sagte, Deutschland soll werden wie seine Mannschaft, multikulti, widerlich!“
In der Schule haben wir gelernt, wie sensibel der Umgang mit dem Staat Israel und seiner Geschichte ist. Die Reiseteilnehmer hingegen scheinen über Takt nicht viel nachzudenken. Im Diaspora-Museum Beit Hatfutsot fragt Werner einen Guide ungeniert: „Gibt es noch den einen Typ Juden? Also genetisch?“ Mittags suchen Fabian und ich im Zentrum Tel Avivs ein Restaurant. An der Tür macht er kehrt, als er zwei dunkelhäutige Männer hinterm Tresen sieht. In einem Straßencafé erzählt Fabian, er werde sich bald eine Schusswaffe besorgen. „Man muss sich ja gegen die Invasionäre zur Wehr setzen können“, sagt er und isst vom Taboulé-Salat, einem Gericht aus der syrischen Küche.
Leah führt uns zum Carmel-Markt, zwischen den Ständen mit Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch sollen wir uns alleine umsehen. Sie deutet auf ein Minarett. „Dort treffen wir uns in einer Stunde.“ Mr. Merkava sagt: „Muss das sein?“ Fabian feixt: „Wollen wir das nicht lieber wegbomben?“ Leah sagt scharf: „Das habe ich nicht gehört!“
Als Teil der Gruppe erlebe ich diese Momente der Entgrenzung als etwas völlig Normales, und da ich mich vor der Reise auf diese Situationen eingestellt habe, verspüre ich keinen Drang, gegen den Wahnsinn zu argumentieren. In jedem Augenblick aber, den ich alleine und abseits der Gruppe verbringen kann, lässt mich das Erlebte erschaudern. Mitten in Tel Aviv meine „rechte Montur“ und damit meine vermeintliche Gesinnung offen zur Schau zu stellen beschämt mich. Könnte ich es, würde ich gerne kurz in den Erdboden versinken, verschwinden.

Freitagabend, Hotel Gilgal, Schabbatessen, wir essen vom geschmorten Hammel und trinken Rotwein. Einmal hatte ich den Eindruck, Mr. Merkava hätte mich heimlich fotografiert, aber jetzt denke ich, dass ich mir das nur eingebildet habe – die anderen sprechen offen in meiner Anwesenheit. Es fallen Sätze wie: „Die SS war quasi eine Antiterrororganisation gegen Sozialisten.“ Links neben mir sitzt Fabian, rechts neben mir der AfD-Abgeordnete aus Thüringen, Jörg Henke, mir gegenüber Petra aus dem inneren Kreis der Partei Die Freiheit. „Liebe Grüße von Michael Stürzenberger“, richtet sie aus, „er wäre auch gerne dabei, konnte aber nicht kommen, weil ihm heute in München der Prozess gemacht wird.“ Der wohl prominenteste PI-Autor, ein verurteilter Volksverhetzer und Vorsitzender der Freiheit, hatte den Islam als „Krebsgeschwür“ bezeichnet und stand an diesem Tag erneut wegen der Beleidigung einer Religion vor Gericht. Petra erzählt, sie habe Zugriff auf seine Konten, einer bezeichnet sie als Managerin Stürzenbergers. Er finanziere sich durch Spenden, die aber beim Fiskus nicht in vollem Umfang angegeben würden, erzählt Petra freimütig. In die AfD könne sie nicht wechseln, da sie Mitglied in der PI-Ortsgruppe München sei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Das sei sogar der AfD „zu viel des Guten“.
Der AfD-Abgeordnete Henke stößt mich mit dem Ellenbogen an und fragt, ob Germanistik nicht eine brotlose Kunst sei. „Ich strebe eine wissenschaftliche Karriere an“, sage ich. Er bietet mir einen Job an: Für seine Reden brauche er immer mal Autoren. „Vielleicht wäre auch eine Parteikarriere was? Nach der Bundestagswahl wird es massig freie Posten bei der AfD geben.“
Es scheint, als warte die Gruppe auf einen Tag X. Fabian plant, aus seinem Exil in Zürich nach Deutschland zurückzukehren – falls die AfD im Herbst in den Bundestag einzieht. An dem Tag, als Angela Merkel ihre erneute Kandidatur verkündet, reagieren die PI-Leser fassungslos – und freuen sich. „Das ist gut für uns, dann geht die CDU endgültig den Bach runter“, heißt es.
Nach dem Essen setzen wir uns in die Lobby, Fabian und ich holen uns ein Bier. Wir finden keinen Öffner, er zieht ein Klappmesser aus seiner Hosentasche. „Ist bei uns verboten“, sagt er und öffnet die Flaschen. Ich frage ihn, ob muslimische Frauen ähnlich wie das Restaurant für ihn auch Sperrgebiet seien. „Da kann ich ’ne Ausnahme machen. Mit denen hat man bestimmt viel Spaß“, antwortet er. Essen bei Muslimen – unmöglich, Koitus – jederzeit.

TAG DREI

Die meisten Teilnehmer machen eine Bootstour im Hafen von Jaffa. Nur Karl und ich entscheiden uns für die Alternative: Wir fahren mit Segways an der Meerpromenade entlang. Karl, 83 Jahre alt, ist die gemäßigte Kraft der Reise. Er hat den Körperbau eines Helmut Kohls und den wachen Geist eines Schuljungen. Zu Hause besitzt er einen eigenen Segway, jetzt kurvt er wagemutig um die Touristen herum.
Karl ist konservativ und weder mit der Flüchtlingspolitik noch mit dem Atomausstieg einverstanden. Aber über Fabians Positionen sagt er: „Sie sind weltfremd – und verblendet.“ Nur zu einem Thema hat Karl extreme Ansichten: „Über den Klimawandel gibt es keine sicheren Erkenntnisse, er ist eine Lüge.“ Er war Präsident eines Ingenieurverbands und entwickelte Bauteile für Atomanlagen, reiste in Delegationen mit Helmut Schmidt und der deutschen Nationalelf um die Welt. Nach unserer Segway-Tour bestellen wir Fisch, eine verschleierte Frau läuft an uns vorbei, und Karl sagt: „Schau, alles möglich hier, find ich gut.“
Abends essen wir in einem belebten Restaurant, Fabian und Karl links von mir, der Unternehmensberater Werner rechts. „Die Invasion ist gesteuert, sie wollen uns muslimisieren“, fängt Fabian wieder an. „Glaubst du, dass uns die Muslime angreifen werden?“, fragt Werner. „Es wird passieren“, antwortet Fabian. Das liege in der Rasse der Muslime begründet. „Rassentheorie ist nicht mehr die Frage der Stunde“, antwortet Karl trocken. Fabian stottert kurz, dann sagt er, er glaube, dass der amerikanische Geldadel diese Verschwörung steuere. Er helfe dabei, dass Waffen in Deutschland bereits gelagert werden, für die „feindliche Übernahme“. Karl hält noch einmal dagegen: „Wenn du das glaubst, bist du ein Antisemit.“ Durch sein altersweises Auftreten hat er in der Gruppe die Rolle des Elder Statesman eingenommen. Er strahlt genug Autorität aus, um die anderen für einen Augenblick zu irritieren. Grundsätzliche Diskussionen beginnt er nicht.
An diesem Abend, an diesen zwei Tischen in Tel Aviv, nimmt das, was Parteienforscher Wählerwanderung nennen, menschliche Züge an. Jeder in der Gruppe hatte einen Moment, in dem er sich vom bisherigen Fünfparteiensystem abgewandt hat. Karl entdeckte mit dem Atomausstieg die AfD für sich. Für den ehemaligen SPD-Wähler Fabian verlor die SPD vermutlich mit dem Strukturprogramm Agenda 2010 ihren Status als linke Volkspartei. Er wechselte zunächst zur Linken und fand dann bei der AfD seine neue politische Heimat. Auch Jörg Henke sympathisierte mit der Linken, bevor er AfD-Abgeordneter wurde. Den Unternehmensberater und den Ex-Pharmavorstand hat der Crash der FDP nach rechts getrieben – und alle hier eint das Unverständnis über den Linkskurs der CDU, der für sie 2014 in der Flüchtlingspolitik gipfelte.
In den Biografien der PI-Leser tritt die Macht, die der AfD innewohnt, zutage. Sie schafft es, Menschen aus völlig unterschiedlichen Richtungen ein politisches Zuhause zu bieten – und sie zu mobilisieren. Jeder der Menschen an diesen zwei Tischen wird bei der Bundestagswahl sein Kreuz machen; und wohl auch die 100 000 anderen Menschen, die täglich PI-News lesen.

TAG VIER

Unser Sonntag beginnt mit einer Busfahrt durch einen muslimisch geprägten Stadtteil von Tel Aviv, Hatikva. Mr. Merkava deutet auf einen schwarzen Einwanderer und sagt: „Den Stadtteil haben die Eindringlinge bereits übernommen. Er zeugt davon, was Deutschland erwartet.“ Unser Reiseablauf scheint einer ausgeklügelten Dramaturgie zu folgen: In Hatikva wird der „Feind“ in den Fokus genommen, rund drei Stunden später, ganz nah an den Palästinensischen Autonomiegebieten, wird auf ihn geschossen: „Caliber 3 – Academy for Counter Terror and Security“ ist auf dem Schild vor dem Militärlager zu lesen.
Ein sonnengegerbter Soldat in Militärkluft mit Kurzhaarfrisur und Spiegelsonnenbrille erwartet uns. Immer nah bei ihm: sein Schäferhund und sein Maschinengewehr. Viele der Reiseteilnehmer versuchen, auf den Erinnerungsfotos ähnlich entschlossen zu schauen wie er. In der inneren Zone des Lagers spielen die PI-Leser mehrere Szenarien durch: Terroristen, die versuchen, einen Markt zu erobern, und zur Strecke gebracht werden; per Kopfschuss oder mittels einer Schäferhund-Attacke. Am Ende schießt jeder selbst auf den fiktiven Feind. Gewehrsalven.
Ich selbst halte mich zurück – als das Schießtraining begann, habe ich behauptet, mir sei schlecht. Nach Hunderten Patronen gibt unser „Instructor“ zu bedenken, dass Soldaten die Waffe nur dann einsetzen, wenn sie eine Gefahr erkennen. „Das hat Spaß gemacht, dann können wir jetzt auf die Antifa und die Araber schießen“, sagt Fabian.
Einige decken sich mit camouflagefarbenen Souvenirs ein, auch der AfD-Abgeordnete Henke trägt nun ein Militär-Cap. Auf dem Weg zum Camp hatte ich ihn gefragt, wie er zu den Aussagen seines Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke steht („völkisch“, „1000 Jahre Deutschland“). Offiziell hatte er sich davon distanziert. Mir, dem vermeintlich Gleichgesinnten, antwortet er, natürlich denke er genauso wie Höcke. Das dürfe man aber den Medien nicht erzählen.

Immer wieder versucht unsere Reiseleiterin Leah, sich über die Bus-Lautsprecher gegen die Gruppe zu positionieren. „Freunde, man kann das so sehen wie Rainer, aber es gibt auch einen anderen Blick auf die Dinge.“ Dass Muslime und Juden etwa in Jaffa gut miteinander auskommen, dass man die Handwerksarbeiten der Zuwanderer schätzt. Als sie diese mit osteuropäischen Pflegekräften in Deutschland vergleicht, knurrt der bayerische AfD-Kreistagsabgeordnete von den hinteren Sitzen: „Stuss.“ Udo aus dem Vogtland brummt: „Frauen. Die sind schneller mal links.“

TAG FÜNF

Jede Reise steuert auf einen Höhepunkt zu, diese hier führt in die große Katastrophe des jüdischen Volks. Yad Vashem, montagmorgens, weltweit bedeutendste Gedenkstätte für den Holocaust. Wir schlängeln uns an alten Männern in Anzügen und Frauen mit schwarzen Schleiern über ihren Gesichtern vorbei, KZ-Überlebende. Wir passieren einen Zug-Waggon, mit dem diese Menschen damals nach Auschwitz transportiert wurden, als mich Petra fragt, ob ich gläubig sei. Sie trifft sich jeden Morgen vor dem Frühstück mit zwei weiteren Teilnehmern zum Bibelkreis. Ich antworte ihr, dann frage ich: „Müssten wir Gläubige nicht Hilfesuchenden Schutz bieten? Maria und Josef wurden auch aufgenommen.“ – „Hilf deinem Nächsten, was?“, fragt die Seelsorgerin, schnippisch zurück. „Aber die Frage ist eben, wer ist dein Nächster? Ist das wirklich jeder, der bei uns reinkommt? Sind die uns wirklich nah?“ Ich solle morgen früh dazukommen, und sie werde mir Bibelstellen zeigen, die belegen: „Wir müssen die nicht aufnehmen.“

Udo und Fabian diskutieren derweil mit unserer Reiseführerin. Ich höre Leah sagen: „Freunde, das sind überprüfte wissenschaftliche Zahlen.“ Wir sind an einem Denkmal angekommen, das mit seinen abgebrochenen Stelen an die Kinder erinnert, die im Holocaust getötet wurden. Ich frage Fabian, worum es ging. Er sagt, dass er die Zahl von sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden infrage gestellt habe. Außerdem sei erwiesen, dass Antisemiten aus den USA Hitler massiv gefördert hätten und dieser den Vernichtungskrieg nicht gewollt habe. Die wahre Zahl der von Deutschland ermordeten Juden liege nur bei etwa einer halben Million. „Den Rest haben Serben und andere Volksgruppen umgebracht.“ Zudem tauche die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg auf. Udo, das AfD-Vorstandsmitglied aus dem Vogtland, der Fabians Ausführungen lauscht, ergänzt: „Die Zahl lässt sich bereits in Dokumenten zwischen 1920 und 1923 einkreisen.“
„Das war alles gesteuert aus den Kreisen des amerikanischen Establishments“, sagt Fabian.
„Ja“, antwortet Udo, der bei den Landtagswahlen immerhin über zehn Prozent der Stimmen für die AfD in seinem Wahlkreis einfing.
„Die blöden Deutschen waren mal wieder das Werkzeug, um das Ganze zu machen“, sagt Fabian.
„Wir wurden nach vorne ins Feuer geschickt, verheizt“, antwortet Udo. Er sagt wirklich „verheizt“. Aus dem Off, rund vier Meter entfernt von uns, höre ich Leah sagen: „Freunde, wer zu alt, zu schwach, zu jung war – wurde vergast.“
Leah bleibt stets unverbindlich, diplomatisch. Zwei Stunden zuvor am Frühstückstisch sagte sie mir, die Gruppe bestehe aus Menschen, die Sorge um ihr Land hätten und deswegen die Grenzen hochziehen wollten. Sie verstehe das. Dass sie sich nicht weiter distanziert, mag daran liegen, dass sie Kunden vor sich hat und die Reise ohne Eklat zu Ende bringen will.

Die Szene in Yad Vashem stellt für mich eine Zäsur dar. Udos und Fabians Worte zeigen spätestens, dass die Teilnehmer mit ihrer angeblichen Israel-Liebe die Menschen hintergehen, die sie in in dem Land treffen. Die Museumsführer, die Hotelangestellten und Leah. Ich würde sie gerne – auch weil ich an ihren Großvater, das KZ-Opfer, denken muss – fragen: Ist ihr das nicht nun endgültig zu viel? Doch dann müsste ich meine Rolle aufgeben. Vielleicht habe ich, auch ohne etwas zu sagen, erstmals im Beisein der Gruppe meine wahren Gefühle ungenügend unter Kontrolle. Stand mir meine Abscheu gegenüber dem, was auf dem Gelände von Yad Vashem geschehen ist, ins Gesicht geschrieben? Jedenfalls bringen mich die Holocaustleugnungen meiner Reiseteilnehmer, hier, am Ort des Gedenkens, beinahe um den Verstand.
Ich möchte wissen, was der AfD-Abgeordnete Henke von dem Zwischenfall hält. Er sagt, den Holocaust infrage zu stellen sei unsäglich. Dieser Gedanke hält ihn aber nicht davon ab, mit Fabian über die Busreihen hinweg zu scherzen – dem Teilnehmer, der am vehementesten den Holocaust leugnete. Für einen Mann, der im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss sitzt, zeigt er wenig Distanz zu braunem Gedankengut. Wie kann es sein, denke ich mir, dass jemand, der rechtsextremistische Verbrechen aufklären soll, mit einer Gruppe Muslimhasser durch Israel kurvt?

TAG SECHS

Ich habe mir angewöhnt, jeden Morgen die Zugriffe auf meine persönliche Internetseite anzusehen. In meinem Hotelbett liegend erstarre ich – nachts um drei Uhr wurde meine Seite von unserem Hotel aus abgerufen. Mr. Merkava? Er war gestern Abend in Bier-Laune, trank in Jerusalemer Bars Glas um Glas – und fragte mich aus.
Obwohl ich mich enttarnt fühle, gehe ich zum Frühstück. Schon in der Lobby passen mich der Unternehmensberater und der frühere Pharmavorstand ab. Sie erklären, sie hätten nichts mit der AfD zu tun, sie seien FDP-Anhänger, die durch einen blöden Zufall hier seien. Offenbar haben sie plötzlich Angst um ihren Ruf.
Ich fühle mich unwohl, dennoch fahre ich mit der Gruppe wie geplant zu den Golanhöhen. Immer wieder sehe ich Teilnehmer tuscheln. Ganz herumgesprochen hat sich meine wahre Identität aber wohl noch nicht, dafür sind manche zu offen. Von den Golanhöhen aus blicken sie über die Grenze nach Syrien. Wüste, ein Ort, Straßen, wenige Autos und ein Camp der Vereinten Nationen sind zu erkennen; wirkliche Details nicht. Merkava sagt: „Da ist genug Platz zum Leben. Zudem ist weit und breit kein Krieg zu sehen.“
Als wir ins Hotel zurückkehren registriere ich weitere Aufrufe auf meiner Website. Ich male mir aus, was wohl passiert, wenn Fabian von meiner Identität erfährt, der Mann mit dem Klappmesser. Ich verschwinde aus dem Hotel. Besser so.

TAG SIEBEN

Während PI noch etwa 24 Stunden in Jerusalem bleibt, wohne ich jetzt im arabischen Gebiet der Stadt und blicke auf die vergangenen Tage zurück. War ich nun unterwegs mit Neonazis? Mindestens zwei vertreten jedenfalls antisemitisches, rechtsextremes Gedankengut, als rassistisch müssen sie nach gängigen Definitionen fast alle gelten, auch wenn sich manch einer nur kurz politisch verirrt haben mag. Einer ihrer Vertrauten zu sein, sie im geschützten Raum einer Reise unter Gesinnungsgenossen zu erleben, lässt sie gefährlicher erscheinen als im Netz. Vielleicht weil der Hass so belanglos dahingesagt erscheint und weil viele von ihnen auf den ersten Blick so normal wirken. Weil sie aus Deutschlands Mitte stammen und doch in einer anderen Welt leben, in der sie sich tarnen und an einer parallelen Gesellschaft zimmern. Um den von ihnen ersehnten Tag X, eine Art deutschen Trump-Day, wahr zu machen, führen manche von ihnen Doppelleben. Das macht es schwer, sie im Alltag zu erkennen. Vielleicht – und diesen Gedanken empfinde ich als besonders bedrohlich – sind sie sogar unsere Nachbarn, unsere Ärzte, unsere Seelsorger.

Während ich selbst mein einwöchiges Doppelleben beende und beginne, wieder ohne Brille und Tarnung durch den Tag zu gehen, ahne ich, dass meine Rolle ihr Bild von der „Lügenpresse“ verstärken wird. Dass sie außerdem versuchen werden, eine Gegenwahrheit auf die Geschehnisse dieser Tage zu entwerfen.
Im Hotelzimmer öffne ich den Laptop und gehe auf den PI-Kommentarbereich. Dort stoße ich auf einen Eintrag, der von meiner Enttarnung berichtet. Die Gruppe wisse Bescheid, heißt es.
Mein Handy vibriert, eine Nachricht von Mr. Merkava. Ich hatte vorgegeben, krank zu sein und einen Arzt aufzusuchen. Merkava will mich mit einer besorgt formulierten SMS zurück ins Hotel locken. Was immer dort geschehen soll.

*Alle Namen bis auf den des AfD-Abgeordneten Jörg Henke und das Pseudonym Mr. Merkava von der Redaktion geändert