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Cool in der DDR

Breakdancer in Dessau, Skateboarder in Ostberlin, Hippies in Dresden - warum beschäftigen sich so viele Filme und Bücher 25 Jahren nach dem Ende der DDR mit deren Underground?

Anfang der 1980er Jahre: triste Wohnblöcke, eine brennende Abfalltonne, Hip-Hop aus dem Ghettoblaster, zwei B-Boys tragen Sneaker und Trainingsanzüge, feuern kraftstrotzende Gesten ab, hinter ihnen ihre Gangs ein ganz normaler Breakdance-Battle in Dessau.
Moment mal: in Dessau? 80er-Jahre-Beats, Reime und weite Hosen verortet man ja eher in der New Yorker Bronx, der Geburtsstätte des Hip-Hops, oder in den avantgardistischen Kolonien anderer Metropolen. Aber sicher nicht in der DDR, deren biedere, graue Kulturlandschaft bekanntlich aus Karat, den Puhdys und der Fernsehshow »Ein Kessel Buntes« bestand. Oder? Der Film »Dessau Dancers« erzählt die Geschichte einer Breakdance-Crew im Arbeiter-und-Bauern-Staat. Man verfolgt den Konflikt der Straßengang mit einer noch viel mächtigeren Bande (SED), die jede Subkultur als Rebellion gegen ihre kollektivistische Machtideologie versteht vor allem, wenn die Leute zur Musik des Klassenfeindes aus der Reihe tanzen. Dann aber versuchen die grauen Herren, die Protestgang aber in ein »jugendliches Volkskunstkollektiv« umzuwandeln. »Wir machen diesen Breakdance sozialistisch«, honeckert ein Funktionär. »Dessau Dancers« steht leider nicht auf einer Stufe mit Hip-Hop-Filmen wie »Wild Style«. Er findet Trabbis und so leider viel zu witzig.
Die Ostalgie-Komödie ist nur das jüngste Beispiel für viele Filme, Bücher und Kulturprojekte, die sich in jüngster Zeit mit dem Subkulturleben der DDR beschäftigen (siehe Kasten auf Seite 130). Der semidokumentarische Film »This ain’t California« zeigte »Rollbrettfahrer«, also Skateboarder, die lange vor der Wende rund um den Ostberliner Fernsehturm kurven. Ein ehemaliger ostdeutscher Punksänger eröffnete in Berlin ein Archiv für Punkkultur der DDR (substitut.net). Christian Lorenz, der vor der Wende Bass bei der ostdeutschen Punkband Feeling B spielte und heute unter dem Künstlernamen Flake als Keyboarder bei Rammstein für die düstere Klaviatur zuständig ist, stellt seine aktuelle Autobiografie »Der Tastenficker An was ich mich so erinnern kann« (19,99 Euro, Schwarzkopf & Schwarzkopf) vor. Darin berichtet er auch über Sozialismus und Subkultur (unter anderem lernt man, dass Keyboarder in Ostdeutschland eben Tastenficker hießen). Und der Dresdner Autor Peter Richter erzählt in seinem Coming-of-Age-Wenderoman »89/90« von einem dicken Hippie namens »Kiste«, der Punks und Pfarrerstöchter gleichermaßen bekocht. Ein buntes Nebeneinander von Subkulturen. In dem Roman geht es ebenfalls um DDR-Breakdance: Der legendäre Hip-Hop-Film »Beat Street« über Breakdancer, Sprayer und Rapper macht ein paar Jungs zu einer Bronx- affinen FDJ-Gang.
Die Frage ist, woher in den Zehnerjahren des 21. Jahrhunderts plötzlich das Interesse für DDR-Subkulturen stammt? Hat man es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung mit einem Jubiläumsphänomen zu tun? (Hoffentlich nicht.) Ist es endlich gut jetzt mit Geschichten über Datscha-Ostalgie und Stasi-Willkür? (Bitte, bitte.) Ein Grund ist sicherlich, dass das Publikum im Spätkapitalismus, in dem wirklich jede rebellische Geste und jede Subkultur und jeder schräge Ton sofort als Modetrend auf den Regalen von H&M und Topshop landet, ein Szenario interessant und attraktiv findet, in dem Musikgeschmack und Frisuren und spackige Breakdance-Moves noch tatsächlich was mit Mut und Identität zu tun hatten und man mit der SED einen Gegner hatte. Diese Sehnsucht nach ein bisschen mehr Schwarz-Weiß ist politisch durchaus fragwürdig an einer Diktatur kann man sich wenigstens reiben , gleichzeitig ist es doch wichtig, dass sich die Nachkriegskulturgeschichte nicht auf Phänomene wie die Kommune 1 und die Rote Flora und die 1970er Jahre in Schwabing beschränkt.
»Es gibt keinen gesamtdeutschen Erinnerungsschatz. Auch in meiner Generation nicht«, schrieb die Autorin Bettina Malter, die 1984 im sogenannten Ostdeutschland geboren wurde, unter der Überschrift »Tut doch nicht so, als sei alles in Ordnung« im Jahr 2014 im »Zeit-Magazin«. Und stellte folgende Frage: »Meine Kindheits helden heißen: Pittiplatsch, Moppi und Schnatterinchen. Außerdem hörte ich in Endlos schleife den Traumzauberbaum. Schon davon gehört?« Erwischt, denken sich jetzt alle, die vor 1989 im sogenannten Westdeutschland geboren wurden (auch der Autor dieses Textes). Nur weil man seine eigenen Subkulturerfahrungen nach dem Mauerfall gemacht hat, heißt das nicht, dass einen das Thema deutsche Teilung nichts angeht. Wenn man es irgendwie überraschend und exotisch und viel zu oft auch schreiend komisch findet, dass es zu DDR-Zeiten Rapper in Dessau gab und Punks in Zwickau und Grufties in Karl-Marx-Stadt, dann sagt das in Wahrheit mehr über Deutschland im Jahr 2015 aus als über die damalige Gesellschaft. Nicht jeder der Filme und Romane über sozialistische Subkulturen ist wirklich gelungen, aber es ist gut, dass sie uns die historische Tatsache, dass die DDR keine total gleichgeschaltete Gesellschaft war, mal auf andere Art und Weise ins Bewusstsein blasen. Zumindest darin sollten wir uns doch einig sein. Marco Maurer