Süddeutsche Zeitung
Selten mehr erlebt
Um den Sound von Binder&Krieglstein zu durchdringen, muss man knietief in diesem Genre drinstecken. Doch da ist man schon am Punkt dieser Musik angekommen – welchem Genre eigentlich? Was Binder&Krieglstein am Mittwochabend im Hansa 39 des Feierwerks abgeliefert haben, lässt sich nicht wirklich einer Kategorie zuordnen. Sogar der stets beliebte Begriff „Pop“ stößt bei den Grazern um den Schlagzeuger und Denker des vierköpfigen Kollektivs Rainer Binder-Krieglstein an seine Grenzen.
Man stellt sich diverse Fragen während des Konzerts: Ist der eine Song Teil eines karibischen Alpen-Calypso-Soundtracks? Und das nächste Stück, ist das osteuropäischer Dancehall-Melodei-Dub? Oder doch eher marokkanischer Jodel-Steiermark-Rap? Und ist das wirklich gerade eine Hommage an Hubert von Goisern? Hört man gerade eine Reverenz an Freddy Quinn? Vor allem aber, warum muss man immer wieder an das bei Kindern beliebte Spiel „Reise nach Jerusalem“ denken? Wegen dem steirisch-englisch-spanischem Sprachpotpourri? Oder wegen der Beatpausen? Und geht das den zwei Herren der Münchner Basskombo Schlachthofbronx im Publikum ähnlich?
Binder&Krieglstein gehören auf jeden Fall zu jenen Helden, die wahrscheinlich nur dank des österreichischen Senders FM4 auch bei uns aufschlugen. Sagt man Binder&Krieglstein, erwähnt man im nächsten Satz automatisch auch FM4. Rainer Binder-Krieglstein, Sängerin Makki, Kurt Bauer an der Violine und Michael Berbaur an der Posaune und Tuba sind Stammgäste bei der jungen ORF-Welle und funktionieren dort häufig als Scharnier zwischen den Stilen. Zwar ist eklektisch ja heutzutage fast alles im Global-Pop-Betrieb, aber für Binder&Krieglstein müsste der Begriff „Eklektizismus“ neu definiert werden. Ein Umstand, weswegen es auch im Hansa 39 schwer fällt, sich einzugrooven. Um eine größere Masse zu erreichen, müsste das Kollektiv sich vielleicht spezialisieren und „Hits“ rausschleudern wie gegen Ende des Auftritts die Shantel-Hymne „Alles verloren“ oder den Ragga-Schunkler „Wir wissen nicht“. Aber irgendwie ginge dann auch genau das verloren, was man nach dem Ende des Auftritts konstatiert: selten mehr erlebt. Marco Maurer