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Zurück in die Zukunft!

The Notwist sind ein deutscher Pop-Mythos und bestanden aus den Acher-Brüdern und Console. Der stieg nun aus. Cico Beck soll ihn ersetzen. Geht das gut?

Vor gut vier Jahren, als er noch nicht Teil eines Mythos war, sondern einer von vielen jungen Musikern, die viel Talent und glücklicherweise einen Onkel haben, der Musiklehrer ist, hatte Cico Beck gerade bei einem kleinen Münchner Label seine erste Platte aufgenommen: Man hörte Loops und Kringel, den warmen Sound und eine dennoch klare Struktur, und es traf einen mit Wucht. Eine dieser Platten, die sofort vertraut klingen. Man erzählte ihm, dass man nach dem Hören der Platte den Eindruck habe, dass Notwist sicher ein starker Einfluss gewesen sei. Cico Beck, damals 27 Jahre alt, meinte nur: »Notwist?«

Notwist, das waren die Brüder Markus und Micha Acher und der Elektrofrickler Martin Gretschmann, die rund um die Nullerjahre bewiesen, dass es auch nach Kraftwerk deutsche Bands gibt, die neu klingen und global relevant sind. Feuilletonisten liebten Notwist, bezeichneten sie als »Konsens-Band«, die jeder liebt, »Neon Golden« gilt noch heute als eine der schönsten deutschen Pop-Alben überhaupt. In baumarktgroßen New Yorker Plattenläden gab es ein extra Fach »Bands that sound like The Notwist« ein großes Kompliment. Ein Mobilfunkanbieter wollte der Band fast eine Million Euro zahlen, um einen Song in einem Werbespot verwenden zu dürfen. Als der Anruf aus der Firma kam, legte Markus Acher einfach auf. Notwist waren der Traum jedes Fans progressiv und authentisch.

Martin Gretschmann, auch unter dem Namen Console bekannt, stieß Jahre nach der Bandgründung zu den Achers aber erst durch seine elektronischen Kunststücke wurde aus einem sehr guten Gitarre-Bass-Schlagzeug-Kollektiv eine außergewöhnliche Band. Der zirpende, blubbernde, knisternde Sound, den die drei Musiker in einem Feld-Wald-Wiesen-Studio in Oberbayern produzierten, hieß bald auf der ganzen Welt »Weilheim Sound«. Sogar die Popzauberin Björk bat Gretschmann um ein Stück für ihr Album »Vesperten«.

Die Band, wie sie war, ist allerdings Geschichte. Es ist keine schöne und keine traurige, eher eine: normale.

An einem Herbstnachmittag in Schorndorf, ein Fachwerkstädtchen östlich von Stuttgart. Vor dem Club Manufaktur fährt ein sehr großer, sehr schwarzer Bus ein, das rollende Zuhause von Notwist für die aktuelle Tour, die bis nach Paris und London führt. Wenig später in der alten Fabrikhalle: Soundcheck. »One with the Freaks«, ein Gretschmann-Stück aus der »Neon Golden«-Ära wabert durch den Raum. Doch Notwist bestehen seit diesem Jahr aus den Achers und Cico Beck. Der Junge, der die Band nicht kannte, steht nun mit ihr auf der Bühne, meist an den Reglern, oft auch an der Gitarre.

»Wo ist Martin Gretschmann???«, »Speelt Martin Gretschmann nog bij The Notwist?«, schrieben besorgte Fans in den sozialen Netzwerken, als sein Abschied publik wurde. Cico Beck, 31 Jahre, muss nun die Rolle eines Klangtüftlergroßmeisters ausfüllen. Es ist ein heikler Moment in der Bandgeschichte, denn Fans mögen in der Regel keine Veränderungen, sie identifizieren sich nicht nur mit Songs, sondern auch mit der Band selbst oder einem einzelnen Mitglied. Als Freddie Mercury starb, gab es zwar noch eine Band, die Queen hieß, aber nie mehr Queen war. Und als sich Kim Gordon und Thurston Moore von Sonic Youth nach 27 Jahren Ehe und Band trennten, litten die Fans wie Scheidungskinder.

Die Spuren der Vergangenheit sind in Schorndorf überall zu sehen. Der Koffer, in dem Becks Elektrokram transportiert wird, nennen die Techniker »Gretschmann-Case«, die Band verwendet noch Gretschmanns Originalaufnahmen und trägt Shirts seines Münchner Elektroclubs »Rote Sonne«. Cico Beck geht durch die Welt, wie er Musik macht mit Gespür. Natürlich fällt ihm auf, dass auf den Notwist-Postern in der Halle noch die Acher-Brüder und Gretschmann abgebildet sind. Es stört ihn nicht, dafür ist er zu gleichmütig. Beck spürt, dass die Fans Gretschmann vermissen. Aber was soll ich machen, denkt er sich. Beck ist ein sanfter Riese, ein Großer, auch in Metern: Knapp zwei sind es.

Schaut man genauer auf das Poster die Acher-Brüder ganz rechts außen, Gretschmann links außen, den Rücken zu den Achers gewandt, ist bereits Zufall oder nicht eine gewisse Distanz zwischen den Parteien zu beobachten. Gretschmanns musikalische Umtriebigkeiten unter dem Namen Console und sein international erfolgreiches DJ-Projekt Acid Pauli 2015 legte er unter anderem beim »Burning Man«Festival in den USA und in Bali, Israel, der Türkei und Australien auf haben in den vergangenen Jahren einen Platz in seinem Leben eingenommen, der sich nicht mit der intensiven Arbeitsweise einer Band wie Notwist vereinbaren lässt. Notwist wollten touren, an Songs arbeiten, Gretschmann hatte DJ-Termine, war nach Berlin gezogen. Eine Person, die der Band nahesteht, beschreibt die Situation so: »Notwist bremste ihn, er bremste Notwist.« Keiner aus der Band würde das so direkt sagen. Es endete schließlich nicht nur eine langjährige Band-Ära, sondern auch eine persönliche Beziehung. Einen Umstand der alle belastete, da sie der Meinung sind, dass eine Band nur eine gute Band sein kann, wenn man eng miteinander ist. Notwist aber war am Ende wohl eher Zweckbeziehung denn große Liebe. Markus Acher, der Sänger, erzählt, dass es möglich gewesen wäre, dass sich Notwist ganz auflöst, wenn Gretschmann der Band aus Pflichtgefühl treu geblieben wäre. Spricht Gretschmann selbst über seinen Abschied, klingt er erleichtert: »Ohne Cico hätte ich es nicht übers Herz gebracht, die Band zu verlassen. Er war ein Geschenk für mich.«
Wer ist dieses Geschenk, der junge Mann, der einen Mythos am Leben erhalten soll?

»Cico ist ein Musiker, der Musik machen muss, weil er immer etwas aufnehmen und sich weiterentwickeln will bei uns ist das ganz ähnlich.« Das sagt Micha Acher, 43, ein Glas Rotwein in der Hand, kurz vor dem Auftritt in Schorndorf. Acher trägt eine Brille auf der Nase, schwarze Haartolle, die grau-blaue Kleidung, so wirkt es, hat er nur an, um nicht nackt zu sein, und wenn er läuft, schlurft er ein wenig und blickt zu Boden auf eine identische Art könnte man auch seinen Bruder und Cico Beck beschreiben. Sie ähneln sich, optisch sowieso, aber auch als Mensch und Musiker.

»Deswegen war die Vertrautheit sofort da«, sagt Markus Acher. Dann grinst er, wie auch sein Bruder und Beck selbst grinsen würden, leise, sanft, in sich hinein.“ Sie sprechen alle drei nur das Nötigste. Manch einer aus dem Bandtross Notwist bestehen noch aus drei weiteren Musikern witzelt über »die Drillinge«.

Die Nacht ist gekommen, eng ist es im Club, Cico Beck spielt Gitarre und bedient die Regler, kommuniziert mit den Achers über Blicke und ein Lächeln. Kein Wort. Wie es klingt? »A Band that sounds like the Notwist.« »Pilot«, ein zentrales Stück der Band, dehnen sie auf zehn Minuten aus, streuen technoide Elemente ein, bedienen sich beim Dub, bleiben stets klar. Der Sound zeichnet ein Lächeln auf die 500 Gesichter im Saal das beseelte Schmunzeln der Drillinge ist nun überall.

Die Geschichte des Musikers Beck begann im Jahr 2011. Damals erschien sein Debüt unter dem Namen Joasihno, das er im Keller seines Elternhauses in Egweil, einem Kaff in Bayern, und an der Musikhochschule Münster aufgenommen hatte. Dort studierte Beck klassisches Schlagzeug und hatte Zugang zu einem großen Perkussionsarsenal aus Trommeln, Vibrafonen und Xylofonen, mit dem er täglich experimentierte, entwarf und verwarf. Seine ersten Konzerte waren ein Happening, verrückt inszeniert – Beck stand alleine auf der Bühne, unter ihm unzählige Loop-Stationen, vor ihm diverse Mikrofone, er hatte eine Gitarre in der Hand, ein riesiges Vibrafon und einen Tisch mit Instrumenten neben sich. Dieser melodiespuckende, sich selbst versorgende Organismus blieb nicht unbeobachtet, nur knapp ein halbes Jahr später spielte Joasihno schon als Vorband von 13&God, einem Projekt der US-amerikanischen Rapper Themselves und The Notwist. Die Freundschaft Markus Achers und Becks begann an diesem Abend in Hamburg. Und dann gibt es ja auch noch Becks andere Band Aloa Input, von »taz« über »Süddeutsche Zeitung« bis hin zu Musikmagazinen hoch gelobt extrem fröhlicher, psychedelischer Neo-Surf-Krautrock. Aloa Input, mit Beck am Schlagzeug, spielte nun häufig als Vorband von The Notwist auch bei Konzerten von Beirut und Cat Power trat Beck mit seinen Bands auf. Man könnte sagen, er hat sich Notwist und Weilheim über die Jahre angenähert. Nachdem ihn Markus Acher auf sein Plattenlabel Alien Transistor geholt hatte, sprang Beck immer wieder bei Livekonzerten für Gretschmann ein. Erst half er aus, seit diesem Jahr soll er die Elektro-Legende ersetzen.

Ein melodiespuckender, sich selbst versorgender Organismus

Wobei keiner der Beteiligten von Ersetzen sprechen würde. »Das Gute an Cico ist ja, dass er eine eigene Art, einen eigenen Kopf und eine eigene musikalische Sprache hat, die er bei uns einbringen kann«, sagt Markus Acher. »Wir sind froh über neue Ideen. Uns gibt es ja schon sehr lange. Das fährt sich dann alles so ein.«

Einen Abend später, der schwarze Riese hatte die Band in der Nacht aus Schorndorf ins französische Strasbourg gebracht. Gestern in der Manufaktur schaute und das gibt einen Einblick in die breit gestreute Altersstruktur der Fans der Band der Schlagzeuger von Casper zu, heute steht der Trainer des SC Freiburg, der 50-jährige Christian Streich, im Publikum. Erst spielt Aloa Input und dann The Notwist Beck steht sozusagen immer auf der Bühne. Er hat sichtlich eine andere Philosophie als Gretschmann aka Console dieser stand meist nur krummrückig über seinen Reglern, Beck greift auch zu afrikanischen Trommeln, Glockenspielen, Akkustikgitarren und Ziegenglocken aus dem Weltladen. Dadurch kriegen die Notwist-Songs bereits live eine neue Energie, klingen organischer. Das ist gewollt, die nächste Platte soll »anders werden, weniger frickeln«, sagt Markus Acher.

Backstage, ein Tisch, drei Musiker: Markus Acher pfeift, Micha trommelt auf den Tisch, Beck wackelt auf dem Stuhl. Alles wirkt harmonisch. Man hat nicht den Eindruck, als habe diese Band eine größere Operation, eine Zentralorgantransplantation, hinter sich.

Eigentlich ist das ein kleines Wunder. Denn Beck hatte sich nur an einem Nachmittag mit Gretschmann zur »Übergabe« getroffen. Ohne groß zu proben, ging er dann bereits vergangenes Jahr mit auf eine Mexiko-Tour. Er hatte den Notwist-Sound offenbar bereits im Nervensystem, deren Art, Musik zu machen, ist auch seine Art, Musik zu machen. Die Drillinge reden backstage über erste Ideen für die neue Platte: Vielleicht wieder wie früher arbeiten, als noch nicht alles von den unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Aufnahmetechnik beherrscht wurde? Dem Organiker Beck, der auf Reisen nach Burkina Faso die Instrumente Afrikas in seinen musikalischen Kosmos eingebaut hatte, gefällt die Idee. Markus Acher, 47, schätzt vor allem Becks Mut zu »komischeren Sachen«. Wo er selbst eher dazu tendiere, eine Melodie zu suchen, sei Beck schräger. Dann erinnert man sich an einen Besuch in Becks Münchner Studio ein paar Tage zuvor, wo er von seiner Idee erzählte, die Elektronik bei Notwist in Zukunft mal mit einer Banane zu steuern. Dagegen wirkt Gretschmanns Methode, der dafür bekannt war, einen Nintendo-Wii-Controller bei seinen Auftritten zu verwenden, fast schon reaktionär.

Ähnlich wie Mitte der Neunziger, als Console zu Notwist stieß und den »Weilheim Sound« zum eigenen Genre machte, steht nun mit Cico Beck ein erneuter Änderungsprozess an. Die Band freut sich auf den Input. Beck sagt, er verspüre keinen Druck. Selbst die Fans sind unkritisch. Die Harmonie wirkt fast seltsam, bis man versteht: Keiner hat Zeit für Nostalgie, man ist gespannt darauf, was kommt. Man will, bei dieser Band, das gilt für Fans und Musiker, eben alles, nur nicht stehen bleiben.

Im Tourbus mit dem österreichischen Nummernschild I-AM GIAN1 schauen die Achers, Beck und die Jungs von Aloa Input auf dem Weg nach Paris noch einen Film an. Es läuft: »Zurück in die Zukunft«. Marco Maurer